Die Wesen (German Edition)
erwarten.
Von Stein versuchte über Thian dem alten Einsiedler vergeblich klarzumachen, dass auch sie ein Flugzeug benötigten. Es interessierte ihn aber wenig. Er nahm die Gesellschaft von Professor Carlsen zum Anlass, noch mehr zu trinken, als er es sonst schon tat.
Thian rauchte Kette.
Von Stein, Sam und Slinkssons halfen Tsin beim Abladen der Yaks. Dann setzten sie sich vor die Hütte in die Sonne, um sich auszuruhen.
Laima nutzte die Gelegenheit und rief ihre E-Mails ab. Zwei neue Nachrichten. Keine von Chang. Sie war enttäuscht und merkte, wie es ihrem Herzen einen Stich versetzte. Warum war er ihr so wichtig geworden? Warum steigerte sie sich da nur so rein? Sie kannte ihn doch gar nicht. Sie war sauer auf sich selbst und fühlte sich so hilflos und unselbstständig. Warum machte sie sich wieder abhängig davon, ob er ihr antwortete? Sie hatte mit Tooms gerade eine Abhängigkeit hinter sich gelassen und klammerte sich sofort an eine neue. Eine, die noch traumtänzerischer war als die andere. Sie hätte sich genauso gut in einen Stoffteddybären verlieben können. Sie ärgerte sich.
Eine Nachricht war von Professor Bersinsch. Das ließ ihr Herz wieder in anderer Weise höher schlagen. Und eine war von ihrem Vater, was sie verwunderte, weil er ungern Mails verschickte. Allerdings blieb ihm auch keine andre Wahl, um sie hier, am Ende der Welt, zu erreichen.
Sie öffnete zuerst die von Professor Bersinsch. Vielleicht ging es ihm besser. Sie würde ihm schreiben, was sie alles bereits entdeckt hatten. Von den Dropa, ihren Legenden, der Stadt der Götter, die vor ihnen noch niemand zu Gesicht bekommen hatte. Und die Abenteuer. Wie sie mehrfach fast zu Tode gekommen waren. Es erschien ihr schon wie ein Traum.
Sie klickte mit der Maus auf „Öffnen“. Im Hintergrund grölte der Einsiedler und holte eine neue Flasche seines Selbstgebrannten. Vielleicht war es nur Benzin, das er einfach aus den Fässern hinter der Hütte zapfte. Zumindest roch es so, dachte Laima.
Laima,
es freut mich wirklich, dass du auf diese Reise gegangen bist. So bist du weit, weit weg und ich muss dich nicht ertragen. Ich habe eine sehr traurige Mitteilung zu machen. Dein geliebter Professor Bersinsch wird es nicht schaffen. Er ist jetzt bald auf dem Weg zu den übrigen Schrumpfköpfen ins Nirvana, in die ewigen Jagdgründe, ins Himmelreich. Schade, schade!
Jetzt muss ich leider seinen Posten übernehmen und bin kommissarische Leiterin der ethnologischen Fakultät. Es kann nicht mehr lange dauern und ist nur noch reine Formsache, bis ich die Professur bekomme.
Endlich! So lange habe ich gewartet, dass der alte Schwachkopf mit seinen verworrenen Theorien das Feld räumt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin und was für eine Freude es ist, dass du mir nicht länger in die Quere kommen kannst. Hätte ich das gewusst, hätte ich mich damals gar nicht so aufgeregt, dass du diese Reise ins ferne Tibet machst. Dafür möchte ich mich wirklich in aller Form und aus tiefstem Herzen bei dir entschuldigen. Allerdings wäre es gar nicht schlimm, sollte dir doch was zustoßen. Dein Gesicht nicht mehr wiedersehen zu müssen, wäre mir eine Freude!
Also Hals- und Beinbruch!
Ach und das mit deiner Mutter tut mir schrecklich leid.
Kommissarische Leiterin
Professorin Dace Augstmane
Laima war schockiert. Sie wusste nicht, was sie mehr betroffen machte. Der bevorstehende Tod von Professor Bersinsch oder die ekelhafte Selbstzufriedenheit, mit der sich Dace in geschmackloser Weise darüber freute. Sie war wie benommen. Alles rauschte in ihrem Kopf. Sie hatte sich so auf eine paar Worte des Professors gefreut. Jetzt würde sie vermutlich nie wieder von ihm hören. Und ihm nie mehr von den Ergebnissen der Reise berichten. Seines Lebenswerks, das er nicht mehr zu Ende bringen konnte.
Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Aus Trauer, aber vor allem aus Wut darüber, wie er mit Füßen getreten wurde. Sie hatte ja gewusst, dass sein Zustand hoffnungslos war, aber etwas tief in ihr hatte immer noch geglaubt. Sie dachte an den letzten Moment, als sie sich umarmt hatten. Es war ein Abschied für immer gewesen.
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dieser Ort und das Gelage hinter ihr machten sie auch traurig. Es schien ihr so wenig angemessen, das Andenken an einen so warmherzigen und aufrechten Menschen gebührend zu würdigen. Aber die anderen konnten ja nicht wissen, was gerade in ihr vorging.
Dann
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