Die widerspenstige Braut
sie diese Stimme aus. Sie war weit weg von zu Hause, zwischen Fremden, und sie sah halt in einem Mann Sicherheit und Stärke. Das war alles. »Die meisten Adeligen erlauben ihren Kindern nicht, ihre Manieren von ihnen zu lernen und zu übernehmen.«
»Ich bin ein viel beschäftigter Mann. Ich sehe meine Kinder nicht so oft, wie ich es gern täte. Doch wenn ich da bin, lege ich Wert darauf, mit ihnen das Abendessen einzunehmen. Denn es gibt niemand, der sie besser unterweisen kann als ihr Vater.«
»Einzigartig«, flüsterte sie.
Er handelte nach seinem Ermessen und seinen Wünschen und nicht so, wie alle anderen es in der Regel taten. Genau das machte ihn gefährlich für sie, für die Zusammenhalt in der Familie so etwas wie ein wärmendes Lagerfeuer war, an dem man wunderbare Erlebnisse teilte. Sie hatte ihre Jugend damit verbracht, in die von Kerzenschein erleuchteten Fenster zu spähen, hinter denen Familien wie diese hier saßen, versammelt um einen Tisch, gemeinsam aßen und lachten und sich unterhielten.
Es war eine Vision, die aber nicht für sie bestimmt war, hatte sie beschlossen. Häufig, sehr häufig hatte sie das beschlossen.
Doch der Wunsch, ein Teil einer Familie zu sein, hatte stets an den äußersten Rändern ihres Verstandes gezupft und sie gequält.
Wie schaffte er es nur, sie innerhalb so kurzer Zeit von totaler Ablehnung zu widerwilliger Bewunderung zu bringen?
»Sie haben Farbe bekommen, Miss Prendregast, und« – sein Finger fuhr leicht über ihre Nasenspitze – »auch einen kleinen Sonnenbrand.«
Sie ergriff die Chance, sich vom Tisch zu entfernen. Von ihm.
Von den Fragen und der ungewünschten Intimität. Sie sprang hoch und strebte zu einem Spiegel. Er hatte Recht. Sie hatte ein leicht gebräuntes Gesicht, und ihre Nase hatte eine rote Spitze.
»Lady Bucknell hat mir gesagt, dass ich nie ohne Haube gehen dürfte, aber ich konnte heute einfach nicht widerstehen.«
»Es sieht ganz reizend aus.« Dann verdarb er wieder alles mit seiner autokratischen Impertinenz. »Warum sind Sie nicht verheiratet?«
Samantha fuhr herum. »Was ist das jetzt für eine Frage?«
»Sie sind attraktiv, Sie sind jung. Wahrscheinlich halten Sie nach einem Ehemann Ausschau, und Sie werden nur so lange bleiben, bis Sie einen gefunden haben.«
Jetzt verstand sie. Colonel Gregory machte sich Sorgen, dass sie, noch bevor sie sich mit den Kindern arrangiert hätte, verschwinden würde und er ein weiteres Mal ohne Gouvernante dastünde. Reiner Egoismus hatte ihn zu seiner Frage getrieben, und sie verstand Egoismus. »Seien Sie versichert, wenn ich Ausschau hielte nach einem Ehemann, täte ich das in London, da gibt es nämlich Männer in Hülle und Fülle.« Sie setzte sich wieder. »Ich habe keinerlei Interesse an einer Ehe.«
»Sie würden sich lieber um die Kinder von jemand anders kümmern, als die Sicherheit eines eigenen Ehemannes und Heimes zu haben?« Reine Ungläubigkeit troff aus seiner Stimme.
Wie viel sollte sie ihm sagen? Genug. Selbstverständlich nicht alles, um Gottes willen. »Ich komme nicht gerade aus einer ordentlichen und normalen Familie. Mein Vater hat ein ausschweifendes Leben geführt, und seit meinem zwölften Lebensjahr hat er verlangt, dass ich ihn darin unterstütze.« Sie probierte noch einen Schluck Likör, aber er schmeckte jetzt fade.
»Sein Leben weitestgehend von dem Einfluss eines Menschen abhängig zu machen – eines einzigen Menschen wohlgemerkt – ist irrational.«
Sie wusste nicht, warum sie ihm antwortete. Vielleicht war es die Art und Weise, wie er eine Augenbraue hob, als würde er unterstellen, dass sie, eine Frau, sowieso nur irrational sein konnte. Vielleicht war sie auch mit zunehmendem Alter Männern und ihrer ständigen Überheblichkeit überdrüssig geworden.
»Als ich vierzehn war, hatte sich meine beste Freundin bis über beide Ohren in einen jungen Lord verliebt und er sich in sie. Als jedoch das Baby in ihrem Bauch heranwuchs, verschwand er – und auch seine Zuneigung – auf Nimmerwiedersehen. Ich half ihr, das Baby zur Welt zu bringen, und auch, es zu beerdigen.«
Als sie jetzt Colonel Gregory anstarrte, fragte sie sich, wie sie ihn jemals reizvoll finden konnte. »Sagen Sie mir, Colonel Gregory, welche Vorteile liegen für eine Frau in einer Ehe?«
Aufgeblasener Torfkopf, der er war, entgegnete er: »Ein guter Mann würde nicht weglaufen und vom rechten Weg abkommen, er würde andere ehrenhaft behandeln und seine Frau beschützen.«
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