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Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunonia Barry
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Tablette genommen?«
    »Es wäre gleich wieder so weit«, sagte Zee.
    Der Arzt stellte ihm die üblichen, einfachen Standardfragen. Wie alt sind Sie? Welches Jahr haben wir? Wer ist gerade Präsident? Finch beantwortete die dritte Frage korrekt, aber bei der ersten und der zweiten zögerte er. Als er gefragt wurde, wann der Zweite Weltkrieg anfing, antwortete er ohne zu zögern. Bei der Gesichtserkennung schnitt er auch nicht schlecht ab, denn er erkannte den Arzt und die anderen Mitarbeiterinnen in der Praxis, konnte allerdings nicht sagen, welche Funktion sie hatten. Als der Arzt ihn bat, von zwanzig ab rückwärts zu zählen, sah Finch sie hilflos an. Und als er sich an eine Adresse erinnern sollte, die man ihm zu Beginn der Befragung genannt hatte, wusste er noch nicht einmal mehr, dass er sie gehört hatte.
    Es gab einen zweiten Test, bei dem diesmal Zee Fragen beantworten sollte. Damit sollte genau bemessen werden, inwieweit sich Finchs mentale Leistung verschlechtert hatte. Es waren alles Fragen über sein Gedächtnis, und Zee sollte jeweils angeben, ob alles beim Alten geblieben oder ob sich etwas geändert hatte. Sie stellte fest, dass sie nur sehr wenige dieser Fragen beantworten konnte, da sie erst seit kurzer Zeit da war und erst jetzt begriffen hatte, wie viel Melville und Finch vor ihr verheimlicht hatten. »Ich muss Ihnen das faxen«, sagte Zee zu dem Arzt. Sie musste mit Melville sprechen.
    Der Arzt unterhielt sich noch eine Weile mit Finch, ein völlig belangloses Geplauder, mit dem er Finch keine Minute an der Nase herumführte. Finch mochte vielleicht nicht alle Antworten auf die Fragen wissen, aber Zee sah an seinem Blick, dass er sehr wohl wusste, aus welchem Grund sie hier waren. Er wirkte gleichzeitig ängstlich und verärgert.
    Als der Arzt die letzte Fragerunde beendet hatte, wandte er sich an sie beide.
    »Ich würde sagen, wir befinden uns mitten im Alzheimer-Übergangsstadium«, sagte er. »Bei Parkinson-Patienten ist das kaum zu vermeiden. Im Verlauf der Krankheit ähneln die Symptome eher denen einer Alzheimer-Erkrankung. Das Gleiche gilt umgekehrt auch für die Alzheimer-Krankheit – diese Patienten bewegen sich dann wie Parkinson-Kranke.«
    Davon hatte sie schon gehört, aber für sie war das immer etwas gewesen, das vielleicht einmal in ferner Zeit auftreten würde. Sie nahm Finchs Hand. Eigentlich hatte sie mit dem Arzt unter vier Augen darüber reden wollen. Sie konnte ja die ethischen Gründe nachvollziehen, die dahinterstanden. Der Patient hatte ein Recht darauf, alles zu wissen. Aber an Finchs Gesichtsausdruck sah sie, dass er alles nur zu gut begriff, und das machte ihm Angst.
    »Wie lang ist es her, seit die Krankheit bei ihm diagnostiziert wurde?«
    Sie war empört, dass der Arzt das nicht wusste. »Ungefähr zehn Jahre«, sagte sie.
    Der Arzt schwieg einen Moment, dann sagte er ernst, aber viel zu beiläufig: »Zehn Jahre, das ist schon ziemlich gut für Parkinson.«
    Sie warf einen Blick hinüber zu Finch, um zu sehen, ob er verstanden hatte, was der Arzt damit gesagt hatte. Sein zur Maske erstarrtes Gesicht war schwer zu lesen. Zee spürte Wut in sich aufsteigen. Sie wollte dem Arzt sagen, was sie von ihm hielt. Sie wollte ihn als Idioten beschimpfen. Wie konnte er es wagen, so mit einem Patienten zu reden? Offenheit war eine Sache. Zee glaubte an das Recht zu wissen. Aber ein Leben so beiläufig aufzugeben, das war schlicht grausam.
    Doch alles, was sie jetzt hätte sagen können, würde es nur noch schlimmer machen. Sie hoffte, dass Finch die Bedeutung der Worte des Arztes entgangen war. Ihr fiel ein, wie Mattei die Neurologen oft charakterisiert hatte: Die Fachidioten der Ärztewelt. Kein Talent im Umgang mit Kranken. Kleine Prinzen. Am liebsten würde sie ihn umbringen. Ihm in sein selbstgefälliges Gesicht springen.
    Stattdessen half sie Finch beim Verlassen der Praxis. Mit quälend langsamen Schritten versuchte er, seinen Rollator aus der Praxis hinaus und durch den Gang zu manövrieren.
    Die warme Luft auf dem Parkplatz beruhigte sie ein wenig. Vielleicht hatte Finch überhört, was der Arzt gesagt hatte, oder er hatte nicht mitbekommen, was es bedeutete.
    Sie sperrte das Auto auf und half Finch hinein. Er war steif, es war höchste Zeit für seine Tablette. Sie verstaute den Rollator im Kofferraum. Dann stieg sie auf der Fahrerseite ein und suchte in ihrer Handtasche nach der Wasserflasche und dem Pillendöschen, auf dem die Uhrzeiten notiert waren. Sie nahm die

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