Die Widmung: Roman (German Edition)
zu still für sie, und sie stellte sich vor, dass jeder das Schmatzen ihrer Turnschuhe hörte, wenn sie über den Teppich lief, darum ging sie wieder nach draußen. Aber es goss in Strömen, es donnerte, es wehte ein starker Wind. Sie stellte sich unter die Markise und sah zu, wie ein schwarzer Mülleimer aus Plastik umgeweht wurde und die zweispurige Straße entlangrollte, bis er wie eine Bowlingkugel eine Gruppe Blumenkübel traf und bis auf einen ganz links und einen ganz rechts alle abräumte. Sie blieb unter der Markise stehen, da fiel ihr auf, dass sie angestarrt wurde, und so ging sie über die Straße ins Rip Tide, das sie in ihrem Leben noch nie betreten hatte.
Es war halb vier. Die Bauarbeiter, die ihren Arbeitstag noch nicht beendet hatten, wurden wegen des Regens nun endgültig nach Hause geschickt, und die Bar füllte sich. Lilly ging bis ans andere Ende und setzte sich auf einen Barhocker, einen, um den sie die Füße wickeln konnte, damit sie sich nicht mehr bewegten.
»Was hätten Sie gerne?«, fragte der Barkeeper.
Lilly trank keinen Alkohol. Sie hatte keine Ahnung.
»Haben Sie irgendwas zu essen?«, fragte sie den Mann. Ihr wurde bewusst, dass sie die einzige Frau in der Bar war. Sie spürte sämtliche Blicke auf sich ruhen.
»Die Steaks hier sind wirklich gut«, half ein Mann zwei Barhocker weiter.
»Mittagessen ist vorbei. Die Küche öffnet erst wieder um fünf«, sagte der Barkeeper.
»Ach, komm schon, die Dame hier sieht aus, als könnte sie ein ordentliches Steak gebrauchen.«
Ihr war klar, dass alle sie beobachteten, aber sie hatte keine Vorstellung davon, wie sie wohl aussah. Zuerst dachte sie nur an einen Wet-T-Shirt-Contest, doch sie war zu dünn, als dass ihr nasses T-Shirt viel Eindruck gemacht hätte. Ihre Schlüsselbeine ragten spitz hervor.
Der Barkeeper murmelte etwas und ging nach hinten zum Koch. »Jetzt hab ich aber was gut«, sagte er, nicht zu Lilly, sondern zu dem Mann, der ihr das Steak beschafft hatte.
Der Mann zog seinen Barhocker zu ihrem hinüber.
Er hieß Adam, stellte er sich vor. Er wohnte über einem der Läden an der Pleasant Street, nur ein paar Häuser weiter links. Er arbeitete als Zimmerer für einen örtlichen Bauunternehmer, genau den, den ihr Mann neulich mit Arbeiten an ihrem Haus beauftragt hatte.
Lilly aß das Steak. Sie aß auch die Salatbeilage. Sie aß sogar die Garnierung, etwas Eingelegtes, Saures, obwohl sie nicht hätte sagen können, was es war.
Sie war mit ihm in die Wohnung gegangen, erzählte sie Zee später, weil er ihr ein trockenes T-Shirt angeboten hatte und sie nach Hause fahren wollte.
An diesem ersten Nachmittag hatten sie es gemacht, sagte sie, nicht im Schlafzimmer, sondern gleich auf dem grünen Sofa in der Ecke, der Wind peitschte das Aluminiumschild des Geschäfts darunter an die Häuserwand, Hagelkörner groß wie Golfbälle schlugen gegen die Fenster und hinterließen Beulen in den Autos auf dem Parkplatz der Bank gegenüber.
»Zum ersten Mal seit Jahren habe ich mich sicher gefühlt«, erklärte Lilly Zee.
Zee fand, was Lilly da beschrieb, klang nach allem anderen als »sicher«, aber sie wusste, dass diese Aussage wichtig war. »Was genau hat Ihnen dieses Sicherheitsgefühl vermittelt?«
»Zum einen das Sofa. Es war so eines mit tiefen Polstern, aus dunkelgrünem Samt. Wie ein Wald oder so.«
»Waldgrün?«
»Ja, und das Licht vom Fenster her.«
»Sie sagten, es herrschte ein Unwetter.«
»Ja. Vielleicht war es nicht das Licht – es war das Krachen des Hagels gegen das Fenster. Auch die Geräusche von draußen. Die Autos und die Läden. Die Buchhandlung und eine Ballettschule. Man hat die Musik von der Schule gehört, und ich stellte mir vor, wie die kleinen Mädchen ihre Übungen an der Stange machten.«
»Bei dem Unwetter konnten Sie alles so gut hören?«, fragte Zee.
»Ja«, antwortete Lilly. »Ich habe die Musik gehört. Es war, als würde das wirkliche Leben direkt vor dem Fenster stattfinden – um uns herum, eigentlich – und wir wären irgendwie Teil davon. So hatte ich mich noch nie gefühlt. Sicher und warm«, sagte sie.
Er hatte sie in seinem roten Pick-up nach Hause gefahren. Sie ließ sich unten an dem Hügel, wo sie wohnten, absetzen, beim Grace Oliver Beach, neben dem kleinen Haus, in dem früher immer Süßigkeiten verkauft wurden. »Darf ich dich wiedersehen?«, fragte er und nahm ihre Hand. Er war so freundlich, dass ihr fast die Tränen kamen. Sie verneinte. Er sagte ihr, er glaube,
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