Die Widmung: Roman (German Edition)
den letzten Jahren, die sie zusammen verbracht hatten, war es zu einem Ritual geworden.
»Ja«, sagte Finch. »September.«
Melville wappnete sich gegen Finchs Zorn, der sicher gleich aufflammen würde. Dann würde Melville ihm alles so erklären, dass er das Geschehene verstehen würde. Er würde es gut erklären und um Verzeihung bitten. Finch würde ihm wieder vergeben, so wie all die Jahre zuvor. Und wenn Finchs Zorn morgen ausbrach, würde er es erneut erklären. Und vielleicht würde Melville dann eines Tages Finch davon überzeugen können, dass sie die ganze Sache auch Zee erklären sollten.
Finch erwiderte Melvilles Blick. Aber Zorn lag nicht darin.
Es ist vorbei , dachte Melville. Gott sei Dank. Das muss die nächste Phase sein, von der der Arzt gesprochen hat, in der die Wut nachlässt und alles für eine gewisse Zeit wieder beinahe normal zu sein scheint. Melvilles Neurologenfreund hatte ihm davon erzählt. Flitterwochenphase, so hatte er es genannt. Die Phase vor dem Übergang zur Alzheimer-Erkrankung im Spätstadium.
»Ist es bequem so?«, fragte Melville und langte hinüber, um Finchs Kissen zurechtzuklopfen.
Finch nickte. Er schaute Melville immer noch an, als würde er irgendetwas überlegen. Dann lächelte er. »Ich habe Sie noch nie hier arbeiten gesehen«, sagte er. »Sie müssen neu sein.«
58
Die Friendship hielt auf dem Weg nach Süden in Newburyport. Der Akku von Hawks Handy war leer, und als er sich eines ausborgte, hatte er keinen Empfang. In der Stadt machte er sich in der State Street auf die Suche nach einem öffentlichen Telefon.
Er hatte Zee während der ersten Woche nach ihrem Gespräch über Lilly nicht angerufen. In der zweiten Woche war er zweimal zu ihrem Haus in der Turner Street gefahren, nachdem er den Mut gefasst hatte, bei ihr zu klingeln. Dieser Mut hatte ihn jedoch gleich wieder verlassen, sobald er vor ihrem Haus hielt. Sie wollte ihn nicht sehen. Die Verbindung zu Lilly war einfach zu viel für sie. Das konnte er verstehen. Aber gleichzeitig gab es Dinge, die er ihr sagen, Fragen, die er ihr stellen musste. Er würde sie nicht loslassen, ohne dass diese Dinge ausgesprochen waren.
Heute hatte Hawk nicht vor, das Thema anzusprechen. Er wollte lediglich sichergehen, dass es ihr gut ging. Die Geschichte von Zylphia hatte irgendetwas bei ihm bewirkt, und er sorgte sich in einer Weise, die er nicht erklären konnte. Sicher, die Ähnlichkeiten waren sonderbar. Aber Hawk glaubte nicht an Geistergeschichten, noch nicht einmal an Seemannsgarn. Nein, das war etwas anderes. Er machte sich ganz praktische Sorgen um sie, und doch gab es nichts Greifbares, das er genau ausmachen konnte.
Ich hab da ein ganz mieses Gefühl , dachte er beim Wählen.
Jessina ging ans Telefon. Zuerst war sie misstrauisch und wollte nicht zu viel preisgeben.
»Ist sie da?«, fragte Hawk.
»Im Moment nicht«, sagte Jessina.
»Könnten Sie mir einfach nur sagen, ob alles in Ordnung ist?«
»Es geht ihr gut«, sagte Jessina. »Sie hat die Fähre nach Boston genommen, wegen einer Hochzeit.«
»Stimmt.« Er erinnerte sich an die Einladung auf dem Drehtablett in der Küche. Dann fiel ihm ein, dass Zee ihm erzählt hatte, die Hochzeit sei an ihrem Geburtstag.
Vielleicht war der Grund für seine Erregung so einfach zu erklären: Bei der Hochzeit würde sie ihren Ex-Verlobten treffen. Hawk war eifersüchtig, wenn er daran dachte, obwohl er wusste, dass er kein Anrecht auf dieses Gefühl hatte.
Da ihm nichts anderes einfiel, hinterließ er eine Nachricht. »Richten Sie ihr bitte nur meine Geburtstagsglückwünsche aus.«
Die Besatzung war zum Abendessen ins Black Cow gegangen und saß draußen auf der Veranda. Die Seemänner waren heute ungewöhnlich laut – er hörte sie schon, bevor er die Ecke erreicht hatte. Das waren alles nette Kerle. Er würde die Zusammenarbeit mit ihnen vermissen.
Als Hawk sich setzte, unterhielten sie sich über den Genehmigungsantrag der Friendship zur Beförderung von Passagieren. Das war eine großartige Idee. Wenn das Schiff die offizielle Genehmigung hatte, konnten sie Gruppen mit aufs Meer hinausnehmen. Und Schulklassen.
Zu schade, dass er dann nicht mehr da sein würde, dachte Hawk. Zu gerne wäre er dabei gewesen.
59
Ann und Mickey waren die letzten Gäste im Restaurant. Es war erstaunlich, was sie alles zu bereden fanden, nachdem sie einmal angefangen hatten, sich zu unterhalten. Die meiste Zeit sprachen sie über Zee und Maureen. Und Mickey erzählte ein
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