Die Widmung: Roman (German Edition)
versucht, sie mit Feenstaub zu bestreuen. Da würden sie sicherlich nicht sofort weglaufen, aber es roch intensiv nach Vanilleblume, ein sehr weiblicher Geruch, der sich weiträumig und rasch ausbreitete. Dann fiel ihr ein, dass sie genauso gut ihren Freund Rafferty anrufen und die Männer wegen Alkoholgenusses in der Öffentlichkeit vorladen lassen konnte, aber Rafferty war kein Revierpolizist, er war nicht einmal mehr Kriminalbeamter. Er war Polizeichef und hatte wahrscheinlich zu viel zu tun, um sich mit einer solchen Kleinigkeit abzugeben. Außerdem hatte Ann nichts gegen Alkoholgenuss, ob öffentlich oder sonst irgendwie – sie mochte es nur nicht, wenn er ihrem Geschäft schadete. Nein, sie würde Rafferty nicht anrufen. Stattdessen nahm sie ein Päckchen aus einem der Eimer, die vor dem Laden standen. Es war eine widerwärtige Kräutermischung, die Ratten und Mäuse vertreiben sollte. Sie hatte sie einmal zufällig hergestellt, als sie Heiltränke gebraut hatte. Sie und die anderen Mädchen nannten die Mixtur »Stinkbombenkraut«. Sie stand im Eingang und prüfte, woher der Wind kam, bevor sie loslegen wollte, da stand plötzlich Mickey Doherty auf dem Gehsteig, in seinem Piratenkostüm mitsamt Augenklappe und Dreispitz und einem Kapuzineräffchen auf der Schulter.
Mickey war ganz offensichtlich gekommen, um Ann vor den Soldaten zu retten. Sie fand sein Talent, ihre Bedürfnisse vorauszuahnen, immer etwas verstörend. Dass er für sie schwärmte, war ihr bewusst. Seit Jahren schon wollte er sie einmal herausfordern. Angeblich besaß er Zauberkräfte, die es mit den ihren aufnehmen konnten, und er lud sie ein, es auszuprobieren. Sie war nie darauf eingegangen, obwohl sie zugeben musste, dass sie manchmal drauf und dran gewesen war. So nervig er auch sein konnte, Mickey Doherty war ein lässiger, attraktiver Mann.
Mickey ähnelte den Kinohelden der alten Schule, denen er nacheiferte. Er sah aus wie Errol Flynn, auch wenn seine Flirtversuche eher an Groucho Marx erinnerten. Sie fragte sich, wer er wirklich war. Sie glaubte sich zu erinnern, etwas von einer dunklen Vergangenheit gehört zu haben – aber nein, vielleicht hatte es sich um einen Bruder gehandelt. Sie wusste es nicht mehr. Insgesamt waren die Dohertys auf jeden Fall eine interessante Familie. Nur düster. Ziemlich düster.
Als seine Schwester gestorben war, hatte Mickey all seine Wut gegen Finch und besonders gegen Melville gerichtet, doch das konnte man ihm nicht zum Vorwurf machen. Mickey war mitunter ziemlich streitlustig. Sie hatte mehrmals auf ihrem Funkscanner gehört, dass die Polizei zu irgendeinem Zwischenfall in Mickeys Laden gerufen wurde.
Ann hatte ein echtes Laster: Sie war süchtig nach dem Polizeifunk. Sie hatte einen Scanner im Laden und einen zu Hause neben dem Bett. Sie hatte sich das zu ihrer Anfangszeit als Hexe angewöhnt. Damals hatte es in Salem kaum Hexen gegeben, nur Ann und Laurie Cabot und ein paar andere, die sich noch nicht geoutet hatten. In einem Anfall von praktischer Paranoia hatte Ann sich damals ihren ersten Scanner gekauft, weil sie einen Vorsprung haben wollte für den Fall, dass es wieder zu einer Hexenjagd kommen sollte, für die Salem berühmt war. In Wirklichkeit musste sie sich überhaupt keine Sorgen machen: Die Stadt brauchte dringend Einnahmen durch den Tourismus, sie nutzte die Gelegenheit und begrüßte die neuen Hexen. Aber mittlerweile war Ann süchtig nach dem Geplapper, das aus dem Scanner kam.
»Na los, meine Herren«, sagte Mickey und trieb die Soldaten zusammen. Mit dem Schwert zeigte er auf seinen Laden. »Bei mir gibt es Grog.«
Die Soldaten erhoben sich von den Bänken und folgten ihm über den Pier zu seinem Laden. Als der letzte losmarschiert war, hob Mickey seinen Dreispitz und verbeugte sich vor Ann.
Sie verdrehte die Augen und ging wieder nach drinnen.
Der Matrosenchor war gekommen und stellte sich vor Mickeys Laden auf. Auf dem Pier gingen die Leute mit ihren Hunden spazieren, jemand errichtete einen Stand zum Facepainting. Ann glaubte gehört zu haben, dass die Friendship heute auslaufen sollte, aber sie war sich nicht ganz sicher. Am Pier, wo das Schiff festgemacht war, hatte sich schon eine Schlange von Menschen gebildet, die auf eine Besichtigung warteten. Obwohl die Friendship gelegentlich segelte, durfte sie keine Passagiere an Bord nehmen, nur die Besatzung und ganz selten einmal Ehrengäste. Ann hatte gehört, dass sie das ändern wollten und eine Genehmigung für das
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