Die Wiedergeburt
Robert, der selbst noch nie verliebt gewesen war, konnte sich das nur schwer vorstellen. Wie sollte er da nachempfinden können, was in einem Mann vorging, der einer Frau begegnete, die ihm vor Jahrhunderten prophezeit worden war. Ich werde verhindern, dass du eine Dummheit begehst! Die Jägerin würde ihm nicht die einzige Familie nehmen, die er je gekannt hatte. Das würde er nicht zulassen.
Grimmig entschlossen, Lucian vor Schaden zu bewahren, löste er sich von der Hauswand und überquerte die Straße. Er würde den Wirt nach den Jägern fragen und behaupten, er wolle ihnen einen Besuch abstatten. Falls die Männer da waren – was er inständig hoffte –, würde er tun, als ginge er nach oben. Sobald der Wirt ihn aus den Augen ließ, konnte er sich zum Hinterausgang hinausschleichen und auf seinen Beobachtungsposten zurückkehren. Diesmal in dem Wissen, dass sich die Jäger auch tatsächlich im Haus befanden.
Wasser tropfte von seinem Hut und seinem Mantel auf die Holzdielen, als er die Gaststube betrat. Den Hut noch immer tief ins Gesicht gezogen, ließ er seinen Blick durch die Stube wandern. Zu dieser Stunde waren die meisten Tische frei, lediglich in einer Ecke saßen ein paar Kaufleute, die in eine hitzige Debatte vertieft waren. Sobald Robert sich sicher war, dass keiner der Jäger im Raum war, nahm er den Hut ab und sah sich nach dem Tresen um. Er fand ihn halb verborgen hinter einer Trennwand aus dunklem Holz. Als er schon fast daran vorbei war, erblickte er einen der Jäger im Gespräch mit dem Wirt. Ein hochgewachsener Bursche mit kurzem braunen Haar, sorgfältig gestutztem Kinnbart und weichen, beinahe freundlichen Gesichtszügen. Gavril. Hastig schlug Robert einen Haken und ließ sich an einem Tisch, halb hinter der Holzwand verborgen, nieder. Er griff nach einer Zeitung und verbarg sein Gesicht dahinter. Vorsichtig spähte er über den Rand der Gazette hinweg und beobachtete, wie der Jäger ein Bündel Geldscheine und einen Schlüssel über die Theke schob. Erst jetzt sah Robert die große Ledertasche, die neben Gavril auf dem Boden stand. Während er sich noch fragte, welchen Grund die Jäger haben konnten, ihre Unterkunft aufzugeben, kam ein Mann die Treppe herunter. Auch er hielt eine Tasche in Händen. Neben Gavril blieb er stehen und legte ebenfalls einen Schlüssel auf den Tresen. Das musste der Kerl sein, der Alexandra auf der Galerie festgehalten hatte. Ihn hatte Robert nur kurz gesehen, ehe er ihn mit seinen Schüssen weiter in die Schatten zurückgedrängt hatte.
Fehlt nur noch einer.
»Wir können nicht zulassen, dass Vladimir noch einmal so etwas tut«, sagte Gavril halblaut zu seinem Begleiter, als der Wirt ihnen den Rücken zukehrte, um die Zimmerschlüssel an die entsprechenden Haken zu hängen.
»Es musste getan werden«, erwiderte Mihail ruhig.
Gavrils Augen weiteten sich. »Wie kannst du so etwas sagen!«, zischte er. Der Wirt verschwand mit Gavrils Banknoten und dem Versprechen, das Wechselgeld zu bringen, im Hinterzimmer. Um besser hören zu können, legte Robert die Zeitung auf den Tisch und beugte sich weit nach vorne, den Kopf gesenkt, als sei er noch immer in seine Lektüre vertieft.
»Ich wollte es lange nicht einsehen«, vernahm er Mihails gedämpfte Stimme erneut, »doch Vladimir hat recht. Um der Bedrohung durch diese Kreatur zu begegnen, müssen wir bereit sein, Opfer zu bringen.«
»Opfer?!«, brach es ein wenig zu laut aus Gavril hervor. Hastig warf er einen Blick in die Runde, ehe er leiser sagte: »Bist du verrückt?«
Mihail schüttelte den Kopf. »Ich sehe endlich klar.«
»Merkst du denn nicht, wie seltsam er sich benimmt?« Gavril wirkte beinahe verzweifelt. »Er hat sich verändert. Nicht nur sein Verhalten. Es ist sein gesamtes Auftreten. Hast du die Sachen gesehen, die er heute Morgen gekauft hat?«
»Vladimir kauft sich neue Gewänder, und du hältst ihn gleich für übergeschnappt? Du übertreibst, Gavril.« Er seufzte, dann sagte er: »Kümmere du dich hier um alles und nimm meine Tasche mit. Ich besorge noch ein paar Dinge. Wir sehen uns im Haus.« Er stellte seine Tasche ab und nickte seinem Kameraden zu, ehe er an Robert vorbei nach draußen ging.
Ein Haus. Das also war der Grund, warum sie die Pension verließen. Robert warf einen vorsichtigen Blick zur Treppe. Jeden Augenblick konnte Vladimir herunterkommen und sich zu seinem Bruder gesellen. Doch der bullige Jäger kam nicht. Stattdessen kehrte der Wirt zurück und gab Gavril sein
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