Die Wiedergeburt
derselbe. »Das Schicksal des Schwarzen Kreuzes und des in ihn eingearbeiteten Splitters vom Kreuze Jesu sind untrennbar miteinander verbunden. Kein Teil kann ohne den anderen existieren oder zerstört werden. Die beiden Hälften sind eins und werden immer wieder zueinanderfinden.«
Sie starrte auf die Zeilen, bis sie vor ihren Augen zu undeutlichen schwarzen Schemen verschwammen, während ihr die Tragweite dieser Worte allmählich bewusst wurde. Um den Splitter zu vernichten, musste sie erst den Jägern das Kreuz abjagen!
Der Gedanke verfolgte sie so sehr, dass es ihr schwerfiel, sich auf das Buch in ihren Händen zu konzentrieren. Sie überflog die Zeilen nur mehr, bis sie wusste, dass darin von keinem Ritual die Rede war. Schließlich schob sie die Blätter zwischen die Buchdeckel zurück und klappte das Büchlein zu. Nachdem sie die Lederbänder wieder verknotet hatte, schob sie es in ihre Manteltasche und stand auf, um ihre Suche fortzusetzen.
Viele der Bücher waren alt und bereits so vergilbt, dass die Tinte kaum mehr zu entziffern war. Jedes Mal, wenn sie nach einem weiteren griff, stieg Staub von den Blättern auf und kitzelte sie in der Nase, sodass sie niesen musste. Sie war schon fast am Ende der zweiten Regalreihe angekommen, als sie auf ein Buch mit dem verheißungsvollen Titel Rituale, Zeremonien und Reliquien stieß. Die ersten Seiten enthielten Zeremonien, deren Durchführung die Wirkung heiliger Artefakte verstärken sollte. Auf den folgenden Blättern fand sie andere, die dazu gedacht waren, Orte und Gegenstände zu reinigen und ihnen ihre Göttlichkeit zurückzugeben. Im hinteren Teil des Buches stieß sie dann auf einen Ritus, der Gegenständen ihre Heiligkeit nehmen und sie zerstören sollte. Da das Buch zu groß war, um es unbemerkt mitzunehmen, riss sie kurzerhand die drei eng beschriebenen Blätter heraus, faltete sie zusammen und schob sie in ihren Ärmel. Jetzt brauche ich nur noch das Kreuz. Sie stellte das Buch an seinen Platz zurück und verließ den Keller.
*
Nachdem Alexandra und Robert gegangen waren, hatte sich Lucian eine Weile damit beschäftigt, seine Taschen auszupacken. Die ganze Zeit über kreisten seine Gedanken um Alexandra. Es war ihm schwergefallen, ihrem Verführungsversuch zu widerstehen. Sie im Arm zu halten, war alles, was er sich wünschte – doch er wollte sie nicht aus den falschen Gründen in sein Bett holen. Nicht, wenn sie es hinterher nur bereuen würde.
Ihm war nicht entgangen, wie sehr sie mit sich gerungen hatte, doch er konnte nicht erwarten, dass sie mit einem Schlag allem zuwiderhandelte, woran sie je geglaubt hatte. Umso mehr freute er sich über jeden Schritt, den sie auf ihn zu tat. Er spürte, dass sie mehr für ihn empfand, doch sie war noch nicht bereit, ihre Gefühle zuzulassen. Womöglich würde es ihr niemals gelingen, zu vergessen, wessen Gesicht er hatte.
Lucian seufzte. All die Jahrhunderte der Einsamkeit, die hinter ihm lagen, gerieten angesichts ihrer Nähe in Vergessenheit. Er wollte bei ihr sein, sie beschützen und ihr etwas von der Last abnehmen, die schon viel zu lange auf ihren Schultern ruhte.
Als sie sich heute Morgen in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, um sich frisch zu machen, war er nach unten gegangen. In der Eingangshalle stieß er auf Robert. Er war gerade aus der Stadt zurückgekehrt und hängte seinen Mantel an die Garderobe. Als er Lucian bemerkte, drehte er sich zu ihm herum. Lucian wollte ihn fragen, was er in Erfahrung gebracht hatte, doch Robert kam ihm zuvor. Er deutete auf eine Ledertasche zu seinen Füßen. »Ich habe die Sachen der Jägerin aus der Pension geholt. Geht es dir inzwischen besser?«
Lucian nickte. Er wusste, wie wenig Robert von Alexandra hielt. Ich hätte ihm niemals von der Prophezeiung erzählen dürfen. Um ihm zumindest einen Teil seiner Abneigung zu nehmen, sagte er: »Sie hat mir heute Nacht das Leben gerettet.«
Einen Moment lang sah Robert ihn nur an. Obwohl er nichts sagte, sprachen seine Augen eine deutliche Sprache. Heute mag sie dich gerettet haben, doch schon bald wird sie dir das Leben nehmen! »Lass sie ziehen«, sagte er und warf den Dreispitz auf die Garderobe. »Setz sie in eine Kutsche nach Irgendwo und sorge dafür, dass du sie nie wiedersiehst. Das ist für uns alle das Beste.«
»Das kann ich nicht.«
»Sie wird dir den Tod bringen!«, sagte Robert so laut, dass Lucian ihn am Arm packte und in eines der Empfangszimmer schob.
»Du begreifst nicht«, erwidert
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