Die Wiedergeburt
hatte. Abgesehen von einem Schrank, neben dem eine Tür in einen weiteren Raum zu führen schien, und einem winzigen Waschtisch entdeckte sie nur noch einen einfachen Stuhl, der verlassen neben ihrem Bett stand.
Die bedrohlichen Schatten, von denen sie geglaubt hatte, dass sie hinter dem Nebel auf sie lauerten, offenbarten sich als Nonnen. Gütige ältere Frauen in langer, dunkelgrauer Ordenstracht, die sich voller Fürsorge um Alexandra kümmerten.
Sobald eine der Frauen bemerkte, dass sie erwacht war, kam sie an ihre Seite und beugte sich über das Bett. »Wie geht es Ihnen, mein Kind?«, erkundigte sie sich besorgt und tastete nach Alexandras Stirn. »Brauchen Sie etwas gegen die Schmerzen?«
Alexandra schüttelte den Kopf. »Wo …? Wie …?« Auch wenn sie nun mehr von ihrer Umwelt wahrnehmen konnte, fiel ihr das Sprechen noch immer schwer. Ebenso schwer fiel es ihr, den Erklärungen der Schwester zu lauschen, die sich als Schwester Mary vorstellte und von einem gütigen Engel sprach, der Alexandra zu ihnen gebracht hätte und seither jede Nacht an ihrem Bett saß.
Jede Nacht? »Lucian?«, fragte sie.
Doch die Schwester schüttelte den Kopf. »Sein Name ist der des Erzengels: Gabriel. Ist das nicht passend für einen rettenden Engel?«
»Gavril?«
Schwester Mary nickte. »Ich glaube, so sprach er ihn aus.«
Alexandra wollte noch mehr fragen, doch die Schwester schüttelte den Kopf. »Dafür ist später noch Zeit«, erklärte sie entschieden. »Jetzt müssen Sie sich erst einmal ausruhen und zusehen, dass Sie wieder zu Kräften kommen. Sie haben immer noch Fieber.«
Als sie Alexandra sanft auf das Kissen zurückdrängte und ihr die Decke zurechtzog, wollte diese sich wehren, doch ihr war schwindlig und die kurze Unterhaltung hatte ihr tatsächlich alle Kraft geraubt. Noch ehe die Schwester den Raum verließ, war Alexandra eingeschlafen.
Als sie wieder erwachte, war es Nacht. Eine kleine Lampe stand auf dem Waschtisch und verströmte ihr schwaches Licht. Gavril saß neben ihrem Bett, den Blick nachdenklich auf die Wand gerichtet. Sobald Alexandra sich regte, war er an ihrer Seite und griff nach ihrer Hand.
»Gavril?«
Ein erleichtertes Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus. »Du erkennst mich?«
Sie nickte. »Schwester Mary hat mir gesagt, dass du hier bist.« Ihre Stimme klang rau und heiser und sie musste mehrmals schlucken und sich räuspern, um die Worte herauszubringen, trotzdem wollte sie nicht schweigen. Zu groß war ihre Erleichterung, nicht länger in ihren Fieberträumen gefangen zu sein.
»Wie fühlst du dich?«, fragte er besorgt. »Brauchst du etwas? Laudanum?«
»Wasser wäre gut.«
Er half ihr, sich aufzusetzen. Sofort ließ ein scharfer Schmerz sie zusammenfahren. Sie presste die Lippen aufeinander und zwang sich, ihn zu ertragen. Ohne Gavrils stützenden Arm wäre sie kaum imstande gewesen, sich aufrecht zu halten. Mit der freien Hand griff er nach dem Wasserbecher und half ihr zu trinken. Sobald er den Becher wieder abgestellt hatte, ließ er sie vorsichtig auf das Kissen zurückgleiten.
So sehr sie Gavril für seine Hilfe auch dankbar war, so wenig konnte sie sich des unguten Gefühls erwehren, das von ihr Besitz ergriff. Gavril unternahm nur wenig ohne Vladimirs Wissen. Alexandras Blick wanderte an ihm vorbei durch den Raum. »Wo ist er?«
»Vladimir? Er weiß nichts von dir.«
Seine Worte beruhigten sie ein wenig, doch es wollte ihr nicht gelingen, ihr Misstrauen gänzlich zum Schweigen zu bringen. »Weißt du, was passiert ist?«
»Ich fand dich auf der Schwelle unseres Hauses«, begann er. »Jemand hat dich dorthin gelegt und –«
»Eures Hauses?«, echote sie.
»Wir wohnen nicht länger in der Pension.« Während Gavril berichtete, wie er sie gefunden und hierher gebracht hatte, kämpfte sie gegen die Müdigkeit an. »Es sieht ganz danach aus, als hätte dich deine Kreatur im Stich gelassen«, beendete er seinen Bericht schließlich.
Sie wollte ihm sagen, dass das unmöglich war. Lucian würde sie nicht allein lassen! Nie! Dann jedoch krochen Bothwells Worte in ihrer Erinnerung nach oben. Er ist fort. Er wird nicht noch einmal in Ihre Nähe kommen. Wie konnte sie annehmen, dass es sich dabei tatsächlich um eine Erinnerung handelte? Sie war kaum bei Sinnen gewesen. Die Worte konnten ebenso gut ihren Albträumen entsprungen sein.
Obwohl sie bisher nur wenig gesagt hatte, strengte sie das Sprechen ebenso an wie jeder Versuch, einen klaren Gedanken zu fassen.
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