Die Wiedergeburt
schlagartig bewusst, was er da von mir verlangt. Dinge, die ich nie zu tun bereit war!«
»Wie den Bibliothekar zu töten?«
Gavril senkte den Blick. Da erst begriff sie, dass tatsächlich er es gewesen war, der dem alten Mann das Leben genommen hatte.
»O mein Gott«, flüsterte sie. »Er hat dich wirklich dazu gebracht!«
»Ich zweifelte nicht an seinem Befehl.« Seine Augen waren ins Nichts gerichtet, als er stockend fortfuhr: »Es erschien mir das einzig Richtige zu sein. Immer wieder versicherte ich mich mit einem Blick zu ihm, dass es tatsächlich das war, was er wollte.«
Und mit diesem Blick hat er dich mehr und mehr unter seinen Bann gezwungen.
»Es war so einfach. Der Alte hat mich nicht einmal gehört. Er wusste nicht, dass ich da bin, und in dem Augenblick, in dem ich ihm den Schädel eingeschlagen habe, war es zu spät.« Tränen schimmerten in Gavrils Augen, als er sie wieder ansah. »Als ich begriff, was ich getan hatte, glaubte ich, aus einem Albtraum zu erwachen. Das konnte ich unmöglich getan haben! Ich bin doch kein Mörder!«
Diesmal war es Alexandra, die nach seiner Hand griff und sie drückte. »Nein, das bist du nicht. Vladimir ist der Mörder. Er scheint nur einen Weg gefunden zu haben, dich und Mihail dazu zu bringen, für ihn die Drecksarbeit zu erledigen.« In der Bibliothek hatte Gavril zu verhindern versucht, dass Mihail sie erdolchte, und als er sie auf seiner Schwelle fand, hatte er sie vor seinen Kameraden in Sicherheit gebracht. Beides Gelegenheiten, bei denen er nicht Vladimirs Blick ausgesetzt gewesen war. Jetzt, da Vladimir nicht in der Nähe war, benahm er sich wie immer. »Ich weiß nicht, wie das möglich ist, doch es kommt mir vor, als könne Vladimir Menschen mit seinem Blick beeinflussen.«
»Unsinn!«, widersprach Gavril und entzog ihr seine Hand. »Vladimir ist doch kein Vampyr! Er meidet weder das Tageslicht noch Gotteshäuser oder Stechginster. Er hasst diese Kreaturen und setzt alles daran, auch das letzte dieser Wesen zu vernichten. Er würde eher sterben, als sich umwandeln zu lassen.«
»Womöglich hatte er keine Wahl. Wie willst du dir seine Veränderung sonst erklären?« Es gelang ihr kaum noch, die Augen länger offen zu halten, dennoch kämpfte sie gegen den Schlaf an, der sie zu übermannen drohte. »Etwas passiert mit ihm.«
»Vielleicht hat deine Kreatur etwas damit zu tun.«
»Nein«, erwiderte sie entschieden. »Lucian hat noch nie einen Menschen umgewandelt – und er wird es niemals tun.«
»Woher willst du das wissen?«
»Er hat es mir gesagt.« Zu ihrem eigenen Erstaunen genügte ihr das.
*
Während der folgenden Tage schlief Alexandra viel. Die Verletzung machte ihr nach wie vor zu schaffen, besonders nachdem sie darauf bestanden hatte, das Laudanum weiter zu reduzieren, bis sie es schließlich ganz wegließ. Auch das Fieber war noch nicht gänzlich gewichen. Vor allem an den Abenden glaubte sie oft vor Hitze zu vergehen, und die Schwestern hatten alle Mühe, sie davon abzuhalten, das Fenster aufzustoßen und die nasskalte Aprilluft hereinzulassen.
Bald war sie in der Lage, sich aus eigener Kraft aufzusetzen, solange Kissen ihren Rücken stützten. An Stehen oder Gehen war ohne Hilfe zunächst nicht einmal zu denken. Erst nach ein paar weiteren Tagen schaffte sie es, allein das Bett zu verlassen. Gehen fiel ihr noch immer schwer, dennoch setzte sie verbissen einen Fuß vor den anderen – jeden Tag ein paar Schritte mehr. Wann immer die Ungeduld sie übermannte, erinnerte eine der Schwestern sie mit freundlichen Worten daran, wie knapp sie dem Tode entronnen war. Alexandra wusste, dass sie dankbar dafür sein sollte, am Leben zu sein. Doch alles, woran sie denken konnte, war der Tag, an dem sie das Kloster endlich verlassen konnte, das mehr und mehr zu ihrem Gefängnis wurde. Sie vermisste Lucian. Nicht zu wissen, was Lucian von ihr fernhielt, ließ ihr keine Ruhe. Nachdem er sich die ganze Zeit über so standhaft geweigert hatte, sie allein zu lassen, fiel es ihr schwer zu glauben, er könne es gerade jetzt getan haben.
Am Morgen hatte sie Schwester Mary gefragt, wie lange sie noch im Kloster bleiben müsse. »Eine Woche«, hatte die vernichtende Antwort gelautet. »Wenn Sie sich wirklich schonen, vielleicht etwas weniger.«
Alexandra dachte daran, eine der Schwestern zu bitten, für sie eine Nachricht an Lucian zu überbringen. Da sie jedoch fürchtete, die Schwestern könnten Gavril davon berichten oder ihn gar bitten, die
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