Die Wiedergeburt
hinweggebrandet waren. Seine Verzweiflung, die Angst, ihr könne etwas zustoßen, und seine bedingungslose Liebe. Wenn die Verbindung zwischen ihnen so stark war, dass es selbst Alexandra gelungen war, seine Empfindungen aufzufangen, warum war er dann nicht hier?
Sie umfing das Band mit ihrem Geist und tastete sich weiter daran entlang, in der Hoffnung, es würde sie zu Lucian führen. Ich bin hier! Kannst du mich hören? Doch sie erhielt keine Antwort. Vielleicht war es gar nicht möglich, auf diesem Wege eine Botschaft zu übermitteln, dennoch versuchte sie es weiter. Sie folgte der Wärme, bis das Prickeln immer mehr an Intensität gewann. Hitze strömte aus jeder Pore, breitete sich über ihre Haut aus und verursachte ein heftiges Kribbeln. Sie musste jetzt ganz nah bei ihm sein. Lucian? Da war etwas, sie konnte es fühlen. Er war da! Nur noch ein winziges Stück, dann würde ihr Geist den seinen berühren. Sie würde seine vertraute Nähe spüren und seinen Trost! Plötzlich stieß sie auf eine Barriere, als versuche er seinen Geist vor ihr abzuschotten. Das würde er nicht tun! Sie tastete sich weiter voran, suchte nach einem Weg, der um das Hindernis herumführte. Auf einmal war es, als würde sie eine feine Membran durchstoßen, ein kleiner Widerstand, dann war sie am Ziel. Von der tröstlichen Wärme, die sie stets in seiner Gegenwart empfunden hatte, war nichts geblieben. Sie befand sich an einem Ort voller Kälte und Trauer. Eine unendliche Leere, die nach ihr griff und sie zu erdrücken drohte. Mit einem erschrockenen Aufschrei zog sie sich zurück.
*
Lucian war in einem nicht enden wollenden Albtraum gefangen.
Nachdem er endlich begriffen hatte, dass Alexandra nicht zu ihm zurückkommen würde, hatte ihn nur noch ein einziger Gedanke beherrscht: Er wollte Rache!
Außer sich vor Trauer war er aus dem Haus gestürmt, bereit für die Jagd nach Alexandras Mörder. Sein erstes Ziel war die neue Unterkunft der Jäger. Er trat die Tür so heftig ein, dass sie aus den Angeln gerissen wurde, und stürmte ins Haus. Raum für Raum suchte er nach diesen Schlächtern ab, riss Tür um Tür auf, ohne zu finden, wonach er suchte. Als er zu begreifen begann, dass das Haus verlassen war, warf er brüllend vor Zorn Schränke und Kommoden um, riss Vorhänge herunter und fegte Tische und Ablagen leer. Womöglich hätte er das Haus niedergebrannt, doch plötzlich hatte Robert neben ihm gestanden und ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Eine einzige Berührung, die ihn zurück in Hilflosigkeit und Trauer gestürzt hatte.
»Er wird dafür bezahlen«, sagte Robert ruhig. »Aber das ist nicht der richtige Weg. Mit blinder Raserei bringst du dich nur selbst in Gefahr.«
»Und wenn schon.«
»Willst du, dass ihr Opfer umsonst war?«
Roberts Worte ließen die wilde Wut verfliegen, die ihn angetrieben hatte.
Nach dem Intermezzo im Haus der Jäger hatte er keinen weiteren Versuch unternommen, die Männer zu stellen. Die folgenden beiden Wochen zog sich Lucian in sein Zimmer zurück. Tagsüber saß er im Sessel und starrte in die erkaltete Feuerstelle, in er Nacht stand er am Fenster und blickte in die Dunkelheit hinaus. Wann immer Robert einen Versuch unternahm, ihn aus seiner Trübsal zu reißen, schickte Lucian ihn fort. Er wollte mit niemandem sprechen und er wollte keine Nahrung zu sich nehmen.
»So kann das nicht weitergehen.« Einmal mehr war Robert ohne Aufforderung eingetreten und störte Lucian in seiner Trauer. »Ich weiß, dass du sie vermisst, aber du kannst dich doch deshalb nicht vollständig aufgeben. Du musst weitermachen!«
Lucian drehte sich nicht einmal um. »Weitermachen?«, echote er. »Womit? Es gibt nichts mehr, wofür es sich lohnt, weiterzumachen.«
»Ich weiß, dass du das jetzt nicht hören willst«, fuhr Robert fort. »Aber was ist mit mir? Du bist mein Freund, Lucian! Denkst du, es fällt mir leicht, mit anzusehen, wie du dich Tag für Tag ein wenig mehr verlierst? Der einzige Grund, warum du noch hier bist, ist deine Unsterblichkeit. Wenn du könntest, würdest du …«
Die Unsterblichkeit war kein Hindernis. Nicht, solange sich der Splitter in seinem Besitz befand. Robert schien das ebenfalls zu begreifen. »Würdest du das wirklich tun?«, flüsterte er heiser. »Wärst du tatsächlich imstande, mich im Stich zu lassen?«
»Ich werde niemanden im Stich lassen!«, erwiderte Lucian scharf. »Und ganz sicher werde ich mich nicht davonstehlen, indem ich meinem Dasein mit eigener
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