Die Wiedergeburt
Hand ein Ende setze. Ich bin kein Feigling, der vor der Welt zurückschreckt!«
»So habe ich das nicht gemeint«, protestierte Robert. »Ich wollte doch nur …«
Lucian wusste, was Robert wollte. Sein Freund versuchte, ihn aus seiner Trauer zu reißen. Er wollte, dass alles wieder so war wie früher – bevor er Alexandra begegnet war. Nicht der Alexandra aus seinen Träumen, sondern der leibhaftigen Jägerin. Doch so würde es niemals wieder werden. Nicht, nachdem er wusste, wie ein Leben an ihrer Seite hätte sein können.
Mit ihrem Tod war etwas in ihm zerbrochen. Ein wichtiger Teil seiner selbst, der ihm die Fähigkeit geschenkt hatte, glücklich zu sein. Er konnte ohne Alexandra existieren, doch er würde niemals wieder Freude empfinden. Langsam stand er auf und wandte sich Robert zu. »Wir werden das Ritual studieren«, sagte er entschlossen, »und alles Nötige beschaffen. Sobald alle Vorbereitungen getroffen sind, werden wir den Splitter vernichten. Danach holen wir uns die Jäger.«
Weiter voraus wollte er nicht denken. Er konnte keine Zukunft planen, von der er wusste, dass er sie nicht haben wollte.
Nachdem feststand, dass sie weitermachen würden, verwandte Lucian seine Zeit darauf, das Ritual zu ergründen. Die eigentliche Durchführung erschien ihm nur wenig kompliziert. Alles hing von den richtigen Ingredienzien ab. Deren Bearbeitung sowie die Mischung waren eine delikate Angelegenheit. Wieder und wieder las er es, in der Befürchtung, etwas übersehen zu haben, doch er konnte selbst beim hundertsten Mal keine Stolpersteine finden.
Schließlich begann er wieder Nahrung zu sich zu nehmen – Blut, das Robert ihm vom Schlachter brachte. Er erstellte für Robert eine Liste der nötigen Zutaten, in erster Linie verschiedene Kräuter, Pflanzenessenzen und Weihwasser. Nicht alles davon war leicht zu bekommen.
Tag um Tag zog Robert los, um die Händler und Märkte nach den nötigen Bestandteilen abzusuchen. Einige Pflanzen fanden sich nicht in der Stadt, sodass er sie an den Hängen des Arthurs Seat, vor den Toren Edinburghs, sammeln musste. Währenddessen kümmerte sich Lucian darum, die einzelnen Bestandteile entsprechend zu behandeln. Er verarbeitete Silber, Stechginster, verschiedenste Essenzen und Kräuter. Einige davon hängte er zum Trocknen auf, aus anderen kochte er einen Sud, den er in Tonkaraffen auffing.
Jeder Handgriff ging wie von selbst vonstatten, ohne dass er darüber nachdenken musste. Er funktionierte. Sein Denken und seine Gefühle waren abgestellt. Er gestattete sich nicht, an Alexandra zu denken. Wann immer seine Gedanken dennoch zu ihr fanden, war es, als durchbohre eine Silberkugel sein Herz. Der Schmerz brannte sich durch sein Fleisch und tötete ihn Stück für Stück, unendlich langsam. Die Einsamkeit, die ihn über die Jahrhunderte begleitet hatte, während er nach Alexandra Ausschau gehalten und darauf gewartet hatte, dass sie endlich in sein Leben trat, war nichts, verglichen mit der Leere, die ihm nun innewohnte. Dass sie nicht zurückkommen, nie wieder mit ihm streiten oder ihm sagen würde, er solle aus ihrem Leben verschwinden, war grauenvoll. Noch schlimmer war jedoch das Wissen, die Schuld an ihrem Tod zu tragen.
Er verschloss einen Topf, in dem er einen weiteren Kräutersud angesetzt hatte, und stellte eine Lederflasche mit Weihwasser zur Seite, das Robert ihm gebracht hatte, als er plötzlich glaubte, eine Berührung zu spüren. Ein vertrautes Gefühl, als wäre das Band zwischen Alexandra und ihm mit ihrem Tod nicht durchtrennt worden. Sein erster Impuls war, danach zu greifen und seine Sinne nach ihr auszustrecken. Doch wem machte er etwas vor? Es gab niemanden, der am anderen Ende auf ihn wartete. Nur Leere. Wenn er zuließ, dass seine Hoffnungen genährt wurden, und nach dem Band griff, würde es nur eine noch tiefere Wunde schlagen. Er zog seinen Geist zurück und richtete seine Aufmerksamkeit auf die frischen Kräuter, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Er begann, einzelne Zweige zusammenzubinden, damit er sie zum Trockenen aufhängen konnte. Als er den Knoten des zweiten Büschels festzog, erfüllte ihn plötzlich eine Wärme, wie er sie seit Wochen nicht mehr verspürt hatte. Er ließ die Hand sinken und hob den Kopf. Den Blick starr geradeaus gerichtet, griff er nach dem Band.
13
Alexandra blieb nicht lange allein. Bald schon saß Gavril wieder an ihrer Seite, den Blick schweigend auf die Wand über ihrem Kopf gerichtet. Womöglich dachte er darüber
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