Die Wiederkehr des gefallenen Engels
gebeiztem Holz. Dahinter war ein Schlüsselkasten, ebenfalls aus Holz. Lara sah, dass es fünfzehn Zimmer gab. Alle Schlüssel hingen auf den Haken.
Entweder hatte das Hotel derzeit keine Gäste oder die Besucher waren auf Tour und hatten die Schlüssel an der Rezeption zurückgelassen.
Auf der Theke stand eine blitzblank geputzte Handklingel. Lara wollte gerade daraufdrücken, als die Tür hinter der Theke aufschwang und eine hutzelige, alte Frau aus einem Zimmer kam, das ihr offensichtlich als Büro diente. Lara sah durch den Spalt einen schweren Schreibtisch, auf dem sich unzählige Ordner und lose Papiere türmten. Mit dem Öffnen der Tür drang ein Schwall Gerüche zu ihnen. Plötzlich roch es nach Tee, Papier und Katze.
Die Frau trat heran und sah zu ihnen auf. Ihr Gesicht wurde von unzähligen Falten beherrscht, die ihr das Aussehen einer getrockneten Pflaume gaben. Sie trug die dünnen weißen Haare zu einem Dutt gebunden. Graue Augen blitzten Lara freundlich an. Als sie den Mund öffnete, zogen sich die faltigen Lippen zurück und entblößten grauweiße, sehr gepflegte Zähne. Lara dachte sofort an ein Gebiss.
»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, sagte die Alte und beantwortete sich gleich selbst die Frage. »Sie suchen ein Zimmer, stimmt’s?«
»Ja«, sagte Lara. »Ist noch etwas frei?«
Die alte Dame nickte mit dem Kopf in Richtung Schlüsselbrett. »Sie können frei wählen. Wir haben derzeit keine Gäste.«
»Oh, prima.«
»Bleiben Sie länger in Berlin?«
»Nur bis übermorgen.« Lara zuckte mit den Schultern, so als bedauere sie es, nur wenig Zeit in der Hauptstadt verbringen zu können.
»Sie sind nicht das erste Mal hier«, meinte die Hotelbesitzerin. »Sie mögen Berlin.«
Woran will sie das sehen? Ich wäre überall lieber, an jedem anderen Ort, nur nicht hier.
Die Alte wandte sich an Damian. »Sind Sie verheiratet?«
Er schüttelte stumm den Kopf.
»Moderne Zeiten.«
»Aber wir sind zusammen … ich meine, wir sind ein Paar«, ergänzte Damian schnell.
»Ach, das kann ich sehen. So alt bin ich nun auch wieder nicht. Ich erkenne, wenn zwei sich lieb haben.« Sie lächelte und blinzelte Lara zu. »Na, ich wünsche euch auf jeden Fall einen tollen Besuch hier in der Stadt. Wisst ihr schon, wo ihr hinwollt?«
»Nein, wir haben keine festen Pläne. Wir wollen uns ein bisschen treiben lassen.«
»Eine gute Idee. Das wahre Berlin entdeckt man, wenn man offen für die Stadt und ihre Strömung ist. Ich gebe euch Zimmer Nummer 10. Das liegt im ersten Stock ganz hinten und geht zum Hof raus. Es ist das ruhigste Zimmer. Niemand stört euch und ihr stört auch niemanden.« Sie lächelte verschmitzt, als sie das sagte. »Ich war auch mal jung.«
Die Hotelbesitzerin reichte ihnen den Schlüssel über die Theke. »Frühstück gibt es ab acht Uhr morgens. Kommt einfach runter, wenn ihr so weit seid, und klingelt. Habt ihr irgendwelche besonderen Wünsche?«
Damian und Lara verneinten.
»Wie ich sehe, habt ihr kein Gepäck?« Das Gesicht der Alten verzog sich misstrauisch.
»Ist noch im Auto draußen«, sagte Lara hastig. »Wir wussten ja nicht, ob noch etwas frei ist. Das holen wir nachher.«
Die Erklärung schien die alte Dame zufriedenzustellen.
»Gut, dann zeige ich euch jetzt das Zimmer.«
Sie durchquerten einen schwach beleuchteten Flur und stiegen dann eine enge Treppe hinauf. Oben angekommen drückte die alte Dame einen Lichtschalter und eine Neonröhre flammte auf. Durch das kalte Licht wirkte alles noch ungemütlicher, aber es war ja nur für eine Nacht.
Ihr Zimmer war das letzte auf der linken Seite. Die Hotelbesitzerin steckte den Schlüssel ins Schloss, es knirschte und die Tür schwang auf.
Vor ihnen lag ein sauberes, kleines Zimmer. Es war ungefähr zwanzig Quadratmeter groß und wurde von einem Doppelbett aus hellem Holz beherrscht. Daneben stand auf jeder Seite ein niedriger Nachttisch mit Lampe. Das Bett selbst war mit frischer Bettwäsche bezogen und ordentlich gemacht. Direkt gegenüber gab es einen einfachen Schrank für die Kleidung, einen altmodischen Fernseher mit Satellitenreceiver, einen Tisch, auf dem eine silberne Kanne, ein Wasserkocher und eine Schachtel mit Teebeuteln standen. Zwei Stühle luden zum Platznehmen ein. Lara schnupperte. Es roch nach Zimt. Ungewöhnlich.
Sie ging zum Fenster und schob den Vorhang beiseite. Der Ausblick bot ihr ein Stillleben aus Pflastersteinen, Pflanzen in Töpfen, die noch keine Blätter oder Blüten hatten, und eine
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