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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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machen.« Leda saß, bunt wie immer, an dem Esstisch im Wohnzimmer. Ihr Gesicht war etwas schmäler, die Augenringe dunkler, doch ihre hennagefärbten Haare leuchteten rot. Schwere Müdigkeit hätte Helen ihrer Mutter attestieren können. Aber keine tödliche Krankheit.
    »Ich sprech doch nur halbwegs schmerzfrei mit dir, weil ich meine guten Mittelchen und Rauchwaren habe, verstehst du das nicht? In ein paar Tagen werden die aber auch nichts mehr helfen.« Leda hatte die Diagnose ihres Pankreaskarzinoms über Wochen hinweg für sich behalten. Doch bevor sich ihr Zustand rapide verschlechtern würde, musste sie Helen Krankheit und Sterbeplan in geballter Kraft zumuten. Das – und einen Satz.
    »Aber wenn es doch noch Hoffnung gibt? Vielleicht ist der Krebs besiegbar? Mit Chemotherapie oder Geisteraustreibung oder was weiß ich. Du kannst doch nicht jetzt schon aufgeben, Mama, du bist erst fünfundvierzig.«
    »Das hat mit dem Alter nichts zu tun. Ich will mir das nicht antun, was auf mich wartet.« Leda lächelte besänftigend. Sie hatte mit Helens Protest gerechnet, aber dass sie ihr eine Chemotherapie zutraute, war gemein. »Was würde mir eine Chemo bringen? Statt ein Monat in Frieden und Freiheit, drei Monate Spitalshaft. Nein, meine Schöne, ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich gebe nicht auf, ich begebe mich zur Ruhe.« Leda wartete auf weitere Reaktionen, aber da kam nichts. Der vorherige kleine Ausbruch war für Helen schon Emotionalität genug. Leda lächelte wieder vertraut, zufrieden, als wäre sie eine neunzigjährige Frau, die auf ein langes, erfülltes Leben zurückblicken konnte. Jetzt sollte sie mit dem Satz beginnen.
    »Weißt du«, setzte sie an. »Weißt du, wie du in Ludwigshof das erste Mal auf meinem Busen gelegt bist, du warst runzelig / blau / verdellt und blutverschmiert, da hab ich mir gedacht, die ist was ganz was Neues / mit ihr wird sich die Welt ändern / die Welt wird sich ab sofort neu drehen. Du warst so wunderbar. Wirklich ein Wunder. Auf dich traf die Bezeichnung Himmelsgeschenk zu. Du warst so perfekt. Ich konnte deine winzigen Finger / Nasenflügel / Lippen nicht aus den Augen lassen / musste deine Bewegungen unter Beobachtung halten / weil jede Regung eines himmlischen Kinds einem Wunder gleichkommt. Du warst ein neuer Mensch, mit dem die Welt neu werden würde. Die Welt und ich.« Leda hielt den Blick auf die Tischplatte gerichtet, als könnte sie dort, wie durch eine Glaskugel, besser in der Vergangenheit lesen. »Deshalb bin ich weg aus der Kommune. Nach deiner Geburt hatten sie dort nur noch übertragene / alte Sachen für mich parat. Ich zog an den Stadtrand, wo mich niemand kannte / womit mich nichts verband.«
    Helen senkte ihren Kopf. Was, wenn ihre Mutter wirklich bald sterben würde? Wenn sie ihre Reden nicht mehr von sich gäbe? Wenn Helen sie nicht mehr berühren könnte, so selbstverständlich wie bisher?
    »Ich brach mit meinen Eltern. Und mit deinen drei Vätern«, sagte Leda und ihre Stimme ummantelte sich mit Dunkelheit. Leda war im Inszenieren von Augenblicken schon immer gut gewesen. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ihrer esoterischen Sitzungen.
    »Moment – welche Väter?« Helen verstand nicht. Gar nichts.
    »Also, deine Väter heißen Günter / Oswald / Robert und haben den Kontakt zu dir eigentlich nie aufgegeben.«
    Helen war sich nicht sicher, ob sie wirklich hören wollte, was Leda ihr beichtete.
    »Anfangs haben alle drei kein Interesse an dir gezeigt. Also bevor du auf der Welt warst. Aber bei deiner Geburt waren sie alle anwesend. Robert hat dich blutiges / schleimiges / verdrücktes Wunder als Erster in den Arm genommen. Ich war so glücklich, wie ich dich und Robert zusammen gesehen habe. Mir wäre fast mein Rippenbogen zersprungen. Dann kamen Oswald und Günter / haben dich in ihre Mitte genommen / dich einer nach dem anderen gehalten. Sahen aus wie die Heiligen Drei Könige / stolz / erfreut / ausgezeichnet. Für einen kurzen Moment war ich selig. Aber dann ist von irgendwoher eine plötzliche Wut in mich eingezogen. Eine ungeheure Eifersucht. Die drei hatten bisher nichts für dich getan / hatten kein Interesse gezeigt, aber jetzt auf einmal scharten sie sich um dich / brüsteten sich mit dir / nahmen dich mir weg. Mir war, als würden sie mich wegstoßen / mich verdrängen, jetzt, wo die Arbeit getan war. Die Heiligen Drei Könige inthronisierten sich selbst. Wie immer unrechtmäßig. Ich verspürte eine ungeheuerliche Grenzüberschreitung

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