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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Körper. Sie spürten Hosenbeine, Mäntel, Taschen, aber keine Erna.
    »Erna, i kumm scho’. Erna!«, rief sie. Amalia hoffte, Erna könnte sie in dem Getöse hören. Sie geriet zunehmend in Panik, mit dieser Schwärze vor Augen, den vielen Menschen, dem Lärm der Einschläge und Ernas schrillem Schrei, dem Einzigen, was in diesem Chaos real klang. Dann stieß sie an etwas Warmes in Ernas Größe. »Erna?« Amalias Hände griffen gierig um sich und hofften, auf Ernas weichen Haarschopf zu stoßen. Amalia ging in die Hocke und stemmte sich gleichzeitig gegen den Druck der Menge.
    »Erna? Erna? Bist’as du?«
    Es war ihre Tochter. Aber Erna sagte nichts, sie hörte nur auf zu schreien.
    »I bin scho’ da, Erna. Alles is gut. Beruhig di«, sagte Amalia, mehr um ihre eigene Beherrschung wieder zu finden. Sie hob Erna hoch, schlang ihre Arme um den kleinen Körper und küsste sie auf die Wangen. Es war zu dunkel, Erna konnte ihre Mutter nicht sehen. Aber sie hatte sie an ihrer Stimme erkannt, an ihren Bewegungen, an der Art, wie sie von ihr hin und her geschaukelt wurde. Trotzdem konnte Erna nicht aufhören zu weinen. »Is scho gut, Erna, sch-sch, is scho vorbei. Das mach’ma nimma, da komm’ma nimma her, i versprech’s«, beteuerte Amalia und wischte die nassen Wangen ihrer Tochter trocken.
    In dieser Nacht fielen die Bomben zahlreicher und hartnäckiger denn je. Als ob sie alle Gleise der Stadt wegsprengen und unter Bombensplittern begraben wollten. Erst im Morgengrauen krochen Amalia und Erna aus dem Tunnel. Die Loks wurden im Rückwärtsgang herausgeführt, noch immer dampfend. Erna und Amalia betrachteten einander im Tageslicht. Kohlenstaub aus den Schloten der Lokomotiven hatte sich Schicht für Schicht auf sie gelegt. Sie waren zwei verrußte Gestalten, aus denen nur Augen und Münder als Farbtupfer herausstachen.
    Daheim kochte Amalia in der Waschküche eimerweise Wasser auf, steckte sich und ihre Tochter in den Holzzuber und rubbelte wie wild mit einem Rest Kernseife und der Wäschebürste ihre und Ernas Haut ab. Es brauchte mehrere Durchgänge, bis sich auch die letzten schmierigen Rußflecken von der rot gescheuerten Haut lösten.
    »Schau, ich bin eine Indianerin«, sagte Erna, wieder vergnügt.
    »Dort geh’ma nimmer hin. Huck, ich habe gesprochen«, sagte Amalia.

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    6.2.
    Berta sitzt an ihrem Tisch, vor sich den Laptop. Wir winken uns zu, ich lächle, sie nicht.
    Die düstere, dunkelgraue Wolkenschicht über der Stadt geht Toni und mir auf die Nerven, deshalb trotzen wir ihr und setzen uns mit Polster, Mantel und in Decken gewickelt in den Garten. Essen heißen Borschtsch. Habe dafür rote Rüben, Kraut und Karotten aus dem Sandhügel im Vorratslager ausgegraben.
    Merke auf der Gartenbank (obwohl gemütlich eingehüllt), wie sich mein Unwohlsein während der Wintermonate von Jahr zu Jahr steigert. Mein Hunger nach Frühlingssonne wächst proportional dazu an. Hätte am liebsten einen Kamin im Holzklo und einen neben der Gartenbank, weil mir die Kälte immer unerträglicher wird. Habe nichts zu tun, außer meinen Stoffwechsel aufrechtzuerhalten (was eigentlich genug sein sollte), aber mir (und meinem Darm) geht die Gartenarbeit ab → sie bricht ohnehin bald an, also Geduld, liebe Helen!
    Toni erzählt von ihrem Schüler, der so was wie ein Bankangestellter ist. Bin ihre Begeisterung für lernwillige Jünglinge durchaus gewöhnt, aber bei dem aktuellen Exemplar verorte ich überdurchschnittliches Interesse. Zumindest hält er sich länger als mancher Vorgänger. Werde langsam neugierig auf den fleißigen Schüler. Angeblich treffen sich Toni und er fast täglich. Mehrmals wöchentlich soll er sich im Haus aufhalten. Weiß nicht, wann der umherschleicht, habe ihn noch nie gesehen. Toni meint, kommendes Wochenende gäbe es eine gute Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Sie wird ein Wesensein-Seminar abhalten, an dem er teilnimmt. Werde auf seine Bekanntschaft lieber weiterhin verzichten → will den Wesensein-Shantis, die Tonis Praxis stürmen werden, keinesfalls zu nahe kommen. Habe diese Art von Menschen in Ledas Umkreis bereits in ausreichendem Maße genossen. Werde Tonis Jüngling noch früh genug kennenlernen.

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