Die wilde Gärtnerin - Roman
hinzu: »Aber nicht, dass du glaubst, ich will den in die Luft sprengen«. Im besten Fall lacht sie mich aus und fühlt sich geschmeichelt, dass ich ihr so viel Radikalität zutraue. Ungünstig wäre, wenn sie nichts mehr mit mir zu tun haben möchte. »Wenn ich bei jedem Wort befürchten muss, du hältst mich für eine Verbrecherin …«, könnte sie mir vorwerfen. Vielleicht ist deshalb Funkstille in naher Zukunft ganz gut. Beruhigung einkehren lassen und sich mit einem neuerlichen Treffen Zeit lassen.
21.3.
Weiß beim Blick aus dem Fenster, dass Berta wach ist. Sie ist zwar nicht zu sehen, aber die Jalousie ist oben und ihr Kaffeehäferl steht auf dem Tisch (Laptop fehlt). Schaue nach dem Frühstück wieder hinüber, da sitzt sie schon wieder vor ihrem Computer. Sie schaut konzentriert auf den Bildschirm, doch irgendwie muss sie meinen Blick spüren. Sie schaut auf, sieht mich am Fenster und winkt mir freundlich zu. Bilde mir ein, ihre Mundwinkel heben sich dabei sogar leicht. Kann natürlich Täuschung oder Wunschdenken sein. Aber sie ist wirklich guter Stimmung, weil sie ihr Fenster öffnet (mache das Gleiche) und mir zuruft: »Ich war fünf Tage weg, und du hast gar nicht bei mir vorbeigeschaut? Ich hätte tot am Boden liegen können! Kümmerst du dich überhaupt nicht mehr um mich?« Der Anflug von Humor überrascht mich.
»Diesmal bestand keine Gefahr, dein Fenster war nicht offen!«, schreie ich über die Straße.
»Ach, du sorgst dich nur um die Wohnung? Vermögenswerte schützen, was? Typisch Eigentümerin. Willst einen Kaffee?« So funktioniert das nämlich mit meinen Bedenken → einfach wegwischen.
Schließe mein Fenster und gehe zu ihr. Wir sitzen unbeschwert beisammen. Frage nicht nach ihrer Abwesenheit. Sie erzählt von ihrer Bergwanderung über den Hochschwab. Verliere über die Entführungssache kein Wort, erwähne auch die Zeitungsberichte nicht, verzichte auf das Thema → meine Verdächtigungen sind mir in Anbetracht ihres Urlaubs ziemlich peinlich. Berichte stattdessen freimütig vom Erwachen meines Gartens → sie erkundigt sich ausdrücklich danach. Vom Wachstum der Pflanzen kommen wir direkt auf Essen zu sprechen. Was mich stark verwundert. Habe sie bisher nur Kaffee trinken gesehen. Aber sie tut so, als sei ihr Nahrung ein Anliegen. Jedenfalls doziert sie ein wenig über Ernährungssouveränität – sehr informativ. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zum Dünger. Berta hat das Gespräch darauf gelenkt! Sie fragt ganz genau nach, wie das mit den Darmkrankheiten sei und ob in der Vermeidung von Krankheiten meine spezielle Fokussierung liege. Erkläre ihr meine Theorie vom Zusammenhang zwischen Zivilisation und Verdrängung der Scheiße, was sich signifikant im Anstieg von Verdauungsproblemen niederschlägt. Beispielsweise trauen sich in Japan Frauen nicht einmal mehr zu urinieren, ohne auf der Toilette Musik einzuschalten. Die soll ihre menschlichen Geräusche übertönen. So ein verkrampfter Umgang mit Stoffwechselvorgängen
muss
zu körperlichen Beschwerden führen.
»Krankheiten sind lediglich Symptome unseres zwanghaften Umgangs mit dem Sinn menschlichen Daseins«, erkläre ich. Berta hört aufmerksam und amüsiert zu. Ihr Gesicht zeigt einen Anflug von Schmunzeln. Glaube, sie findet Gefallen an meinen Überlegungen.
FORTSETZUNG VERHÖRPROTOKOLL, 24. JULI 2012
Für mich ist Helens Veränderung dann Ende März, Anfang April offensichtlich geworden. Ab da war sie wirklich umgänglicher. Ich meine, ich hätte doch nie geglaubt, dass sie für das Sommerfestival ihre Zustimmung gibt. Und schon gar nicht, dass sie ihren Garten zur Verfügung stellt! Ich wär ja nie im Leben auf die Idee gekommen, sie zu fragen. Das war Bennos Einfall. Er hat gemeint: »Frag sie einfach, sie ist doch deine Freundin, warum fragst du sie nicht?« Ich hab ihm nämlich ein bisschen vorgejammert, dass ich gern eine Woche organisieren würde, in der sich Menschen treffen, die ihr Wissen und ihre Erfahrung miteinander teilen können. In gemeinsamen spirituellen Austausch treten, verstehen Sie? So was wollte ich schon lange machen. Einen Raum für Leute aus unterschiedlichen Richtungen anbieten, die auf allen denkbaren Ebenen aneinander partizipieren. Und Helens Garten als ideale Kulisse. Yoga, Meditation, Wandlungszeremonien, alles auf der blühenden Wiese. Ich hab mir das wunderbar vorgestellt. Nur bin ich davon ausgegangen, dass Helen nicht mitspielen wird. Aber Benno war unvoreingenommen. Er hat damals
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