Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
Vom Netzwerk:
Mannequin-Schule. Erna packte ihre Schminksachen in ein gehäkeltes Täschchen und ließ es in ihre Handtasche gleiten. Sie stand auf, strich ihr Kleid glatt. Aus Ermangelung eines großen Wandspiegels drehte sie sich vor dem Wohnzimmerfenster und begutachtete ihre Reflexion in der Scheibe. Die Wohnung ihrer Eltern war noch genauso schäbig wie im Krieg. Erna hatte diesen Substandard satt. Aber für sie hätte der bald ein Ende. Sie und Anton würden in eine Kategorie-A-Wohnung ziehen. Nichts freute sie derzeit mehr als diese Aussicht. Sie verstand nicht, weshalb ihre Eltern die muffige Hütte nicht endlich verließen. Die waren eben noch anders. Die gehörten zum alten Schlag. Erna mochte sie, aber ihre Ansichten und Lebenseinstellungen hatten für sie keine Gültigkeit mehr. Sie spürte deutlich, dass sich für Anton und sie eine neue Zeit auftat.
    Ganz sicher würde sie nicht so leben wie ihre Mutter. Ihre couragierte Mutter, die immer in flachen Schuhen herumlief, ungeschminkt und mit glatten, kinnlangen Haaren.
Praktisch
. Das war das geeignete Wort für ihre Mutter. Seit Kriegsende arbeitete Amalia Panticek als Darmwäscherin. Dafür musste man praktische Kleidung tragen. Aber Erna wollte nicht praktisch sein. Denn allem Praktischen haftete noch der Krieg an. Erna wollte nichts damit zu tun haben. Jetzt hatte Österreich einen Staatsvertrag. Die Alliierten waren abgezogen. Es gab genug zu essen und genug Schillinge, um sich Stoffe und Schnitte für Kleider zu kaufen. Erna war frei. Noch freier als Österreich. Da wollte sie nicht praktisch sein. Sie wollte weite Röcke tragen. Stundenlang in eleganten Stöckelschuhen spazieren gehen. Keinen vollen Stoffrucksack für den Schwarzmarkt am Rücken schleppen, sondern ein schickes, unpraktisches Täschchen am Handgelenk baumeln lassen. Sie wollte nicht als unscheinbare Trümmerfrau gemeinsam mit einem invaliden Ehemann in einer alten, kleinen Substandardwohnung hausen. Sie wollte als glamouröses Mannequin mit Anton an ihrer Seite einen Neubau beziehen. Und bald würde es so weit sein. Noch fuhren Anton und sie mit seinem Motorrad zu einer Baugrube in Favoriten, wo beide den Fortschritt bestaunten, der zu einem dreistöckigen Wohnhaus führen würde. Fünfzig Quadratmeter mit Bad, Klo und fließend Warmwasser. Sie würden rechtmäßige Mieter einer Genossenschaftswohnung werden. Also eigentlich Anton. Er hatte den Mietvertrag unterzeichnet. Erna war erst siebzehn Jahre alt. Selbst um zu heiraten, hatte sie die schriftliche Einverständniserklärung ihres Vaters gebraucht. Aber als Ehefrau von Anton Cerny gehörte ihr sowieso alles, was ihm gehörte. Erna drehte sich nochmals vor der Fensterscheibe, warf einen kurzen Blick in ihren Handspiegel. Dann legte sie ihn zu dem Schminktäschchen in die unpraktische, aber umso elegantere Handtasche.
    Sie verließ die Wohnung ihrer Eltern. Die waren mit Freunden zur Alten Donau gefahren. Ins
Arbeiterstrandbad
. Mit der praktischen Straßenbahn. Erna hatte das nicht mehr nötig. Sie fuhr mit Anton auf seiner
Triumph
. Das war unbequem, weil sie sich an Anton klammern musste und der gerne schnell fuhr. Außerdem musste sie stets daran denken, ihr Bein weit genug vom Auspuff wegzuhalten, um sich nicht ihren Knöchel zu verbrennen. Aber die
Triumph
bot wesentlich mehr Glamour als eine Straßenbahn. Wenn Anton und Erna ins Kino fuhren, parkte er sein Motorrad vor dem Eingang. Regelmäßig nach dem Film stand eine bewundernde Menschenmenge um die
Triumph
. Dann baten Erna und Anton die Schaulustigen, zur Seite zu treten, stiegen auf die Maschine und fühlten sich wie Stars in ihrem eigenen Film.
    Erna trippelte in ihren Schuhen mit Bleistiftabsätzen die Stiegen hinunter. Sie hoffte, Anton würde mit laufendem Motor vor der Haustür warten und sie bräuchte nur aufzusitzen und in die nächste Filmszene zu rasen. Aber sie wusste, dass er noch nicht da war. Sonst hätte sie bereits sein Hupzeichen gehört. Was nicht unbedingt wünschenswert war. Anton wartete nicht gerne. Auf niemanden. Auch nicht auf Erna. Er war furchtbar ungeduldig. Wenn sie nicht zum verabredeten Zeitpunkt am verabredeten Ort stand, wurde er jähzornig. Besonders, weil er selbst meist spät dran war. Erna dachte an ihren Vater, der so anders war als Anton. So geduldig und ruhig.
    Sie erinnerte sich, wie er kurz nach Kriegsende plötzlich in der Küche gestanden war. Erna war damals sieben und er für sie noch gar nicht ihr Vater, sondern ein Unbekannter. Ein

Weitere Kostenlose Bücher