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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Dreiviertelstunde von Iowa City, doch Dr. Wolfram Holster
hatte es sich nicht zu eigen gemacht, engere Beziehungen zu seinen Studenten zu
knüpfen. »Ist es ein Notfall?« wollte er wissen.
    »Ein Trauerfall
in meiner Familie«, gab Trumper ihm zur Antwort.
    Sie waren schon
fast am Flughafen, und Trumper hatte noch keinen Laut von sich gegeben, als
Holster ihn fragte: »Ihr Vater?«
    »Wie bitte?«
    »Ihr Vater «,
wiederholte Holster. »Der Trauerfall in Ihrer Familie…«
    »Ich selbst«,
antwortete Trumper. » Ich bin der Trauerfall in der
Familie…«
    Holster fuhr
weiter und legte eine höfliche Pause ein. »Wohin fliegen Sie denn?« fragte er
nach einer Weile.
    »Ich ziehe es
vor, fern der Heimat in die Brüche zu gehen«, antwortete Trumper. Holster
erinnerte sich an diese Zeile; sie stammte aus Trumpers Übersetzung von Akthelt und Gunnel. Auf dem Schlachtfeld von Plock
erfährt Akthelt, daß seine Frau Gunnel und sein Sohn Axelrulf zu Hause in ihrem
Schloß auf niederträchtige Weise überfallen und niedergemetzelt wurden. Thak,
Akthelts Vater, schlägt ihm vor, den geplanten Angriff auf Finlandia zu
verschieben. »Ich ziehe es vor, fern der Heimat in die Brüche zu gehen«, entgegnet
Akthelt seinem Vater.
    [275]  Dr.
Holster schloß daraus auf einen Hang zur Melodramatik bei Trumper.
    Viel
interessanter war allerdings, was Holster nicht einmal ahnte: Die ganze Passage – das Schlachtfeld von Plock, die Geschichte, daß Gunnel und Axelrulf auf
niederträchtige Weise überfallen und niedergemetzelt wurden, und Akthelts
Kommentar – war erlogen. Trumper hatte die Story nicht mehr im Griff gehabt,
mußte jedoch Holster etwas von seiner Arbeit vorlegen und hatte sich einfach
alles ausgedacht. Später mußte er sich dann etwas einfallen lassen, wie er die
beiden wiederbeleben konnte: Es stellte sich alles als eine Verwechslung
heraus.
    Also war
Trumpers Zitat eigentlich doch ein Original.
    »Ich ziehe es
vor, fern der Heimat in die Brüche zu gehen.«
    Holsters
Reaktion muß Trumper ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht haben.
    »Viel Spaß
dabei!« wünschte Dr. Wolfram Holster ihm.
    Die Lufthansa-Maschine war nicht einmal halb besetzt, als sie
in Chicago abhob. Ein paar Passagiere stiegen in New York zu, doch die Maschine
war noch immer ziemlich leer. Obwohl so viele Plätze frei waren, setzte sich
eine Stewardeß neben Trumper. Vielleicht sehe ich aus, als müsse ich mich jeden
Augenblick übergeben, dachte er, und schlagartig wurde ihm übel.
    Die Stewardeß
sprach nicht sehr gut Englisch, aber Trumper hatte noch keine Lust, Deutsch zu
sprechen. Bald würde er genug Gelegenheit dazu haben.
    »Sie fliegen
zum ersten Mal?« fragte sie ihn in gebrochenem, deutsch klingendem Englisch.
Die wenigsten wissen, was für eine schöne Sprache Deutsch doch ist, sinnierte
er.
    »Ich bin schon
lange nicht mehr geflogen«, erzählte er der Stewardeß und wünschte sich, sein
Magen würde nicht ständig mit dem Flugzeug in Querlage gehen.
    Über dem
Atlantik sanken sie ein wenig ab, gingen wieder [276]  höher und sanken erneut ab. Als das
Leuchtschild Please fasten
seat belts erlosch,
löste die Stewardeß ihren Gurt. »Also dann«, sagte sie.
    Doch bevor sie
aufstehen konnte, versuchte Trumper, sich an ihr vorbei zum Gang
durchzudrängeln, vergaß aber, daß er noch angeschnallt war. Er wurde
zurückgerissen, genau auf sie, und drückte sie zurück in den Sitz. Er übergab
sich in ihren Schoß.
    »Oh, das tut
mir leid«, keuchte er und dachte daran, daß er sich in den letzten Tagen nur
von Bier ernährt hatte.
    Die Stewardeß
stand da, hielt ihren Rock hoch, fast wie ein Tablett, und lächelte, oder
versuchte es zumindest. Noch einmal sagte er: »Oh, das tut mir leid.«
    Freundlich
sagte sie zu ihm: »Machen Sie sich keine Gedanken.«
    Aber Bogus
Trumper hörte sie nicht. Er sah aus dem Fenster, alles war schwarz, und er
hoffte, daß es nur das Meer war. Er sagte nochmals: »Es tut mir wirklich leid.«
    Die Stewardeß
versuchte, von ihm loszukommen, um ihren Rock auszuleeren. Doch er griff, ohne
sie anzusehen, nach ihrer Hand, starrte dabei wie gebannt aus dem Fenster und
wiederholte: »Es tut mir wirklich leid, ehrlich! Verdammte Scheiße! Aber es tut
mir wirklich leid! Scheißdreck, es tut mir so leid, Scheiße…«
    Unbeholfen
kniete die Stewardeß neben ihm nieder, bemüht, ihren schleimigen Rock hochzuhalten.
»Bitte, hören Sie…he, hallo, Sie!« säuselte sie.
Doch er begann zu weinen. »Bitte vergessen

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