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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Fotoalbum voll alter Freunde in
seltsamer Kleidung, jeder von ihnen ein paar Kilo leichter. Doch alles war sehr
vorhersehbar; er erinnerte sich an jedes Detail. Bis ans Ende, als er die Szene
sah, die er nur gehört hatte: Tulpen in der Badewanne, wie sie Ralph und Kent
sagt, daß sie jetzt gehen sollen.
    Dann sah er
seine eigenen, von ihm selbst zusammengeschnittenen Abschiedsszenen. Ralph
hatte die Reihenfolge umgedreht. Zuerst sah man Trumper aus der Tierhandlung
gehen und zu Ralph sagen: »Auf Wiedersehen, Ralph. Ich will nicht länger in
deinem Film mitspielen.« Dann sah man Trumper und Tulpen und Colm in der U-Bahn
auf dem Weg in die Bronx, mit Trumpers Stimme aus dem Off: »Tulpen, es tut mir
leid. Aber ich will kein Kind.«
    Dann kamen zwei
neue Szenen.
    Tulpen in einer
Gymnastikhose bei der Schwangerschaftsgymnastik zur Vorbereitung auf eine
natürliche Geburt: tief einatmen, pressen, und so weiter. Ralphs Stimme sagt
aus dem Off: »Er hat sie verlassen.«
    Dann eine
Einstellung von Tulpen im Schneideraum. Die Kamera schaut ihr von hinten zu;
sie sitzt da, und erst als sie den Kopf zur Seite dreht, erkennt man sie, im
Profil. Schließlich bemerkt sie die Anwesenheit der Kamera, schaut über die
Schulter in die Linse [463]  und
wendet sich ab. Als wäre ihr die Kamera total egal. Aus dem Hintergrund fragt
Ralph sie: »Bist du glücklich?«
    Tulpen scheint
unsicher zu sein. Sie steht mit einer seltsamen Geste auf; von hinten gesehen
bewegt sich ihr Ellbogen wie der Flügel eines Vogels. Doch Trumper weiß: Sie
lupft ihre wunderschöne Brust mit dem Handrücken.
    Als sie in
voller Größe im Profil vor der Kamera erscheint, sieht man, daß sie schwanger
ist.
    »Du bist
schwanger…«, bohrt Ralphs Stimme.
    Tulpen schaut
mit einem Was-du-nicht-sagstBlick in die Kamera. Mit den Händen zupft sie an
dem formlosen Umstandskleid, das ihren dicken Bauch einhüllt, herum. »Von wem
ist das Kind?« fragt Ralph unerbittlich.
    Kein Zögern,
nur ein kurzes Zucken der Brust, doch sie sieht nicht in die Kamera. »Von ihm«,
sagt Tulpen.
    Das Bild
erstarrt auf der Leinwand, und der Abspann läuft darüber ab.
    Als die Lichter
angingen, war er umringt von Greenwich-Village-Cineasten. Er saß wie betäubt
da, bis er merkte, daß niemand an seinen ausgestreckten Beinen vorbeikam, dann
erhob er sich und ging mit der Menge zum Ausgang.
    In der
verpesteten Luft des schwacherleuchteten Foyers zündeten sich die Jugendlichen
Zigaretten an und lümmelten herum; Trumper, der sich aus der langsam vorwärts
drängenden Menge nicht befreien konnte, schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf.
    »Was für ein
Arschloch!« sagte ein Mädchen.
    »Ich weiß
nicht, ich weiß nicht«, warf jemand ein. »Packer hat’s immer mehr mit sich
selbst, meinst du nicht auch?«
    »Also mir hat’s
ja gefallen, aber…«, sagte eine nachdenkliche Stimme.
    »Die
Schauspieler waren echt gut…«
    »Das waren
keine richtigen Schauspieler…«
    »Na ja, die
Leute eben…«
    [464]  »Ja,
echt stark!«
    »Die
Kameraführung war auch Spitze.«
    »Ja, aber
irgendwie hat er nichts damit gemacht …«
    »Willst du
wissen, was ich sage, wenn ich so einen Film sehe?« fragte eine Stimme. »›Na
und?‹ sage ich da. Weiter nichts.«
    »Gib mir den
Schlüssel, du Idiot…«
    »Ein Scheißfilm
ist ein Scheißfilm ist ein…«
    »Aber er ist doch relativ…«
    »Immer das
gleiche.«
    »Entschuldigung…«
Bogus überlegte, ob er dem Mädchen vor sich in den zierlichen Nacken beißen, ob
er auf eine Gruppe Jungen, die hinter ihm herumphilosophierten, den Film als
»großartig nihilistisch« bezeichneten, eintreten sollte.
    Kurz vor dem
Ausgang merkte er, daß man ihn erkannt hatte. Ein Mädchen, das wie eine
Drogensüchtige aussah und tiefe Trauerringe um die Augen hatte, starrte ihn an
und zupfte dann ihren Begleiter am Ärmel. Sie gehörten zu einer Gruppe, und
sofort drehten sich alle um und schauten auf Trumper, der im Gedränge an der
Tür eingekeilt war. Es war eine Doppeltür, doch die eine Hälfte ging nicht auf.
Als jemand kam und den Haken löste, ging ein Johlen durch die Menge, und
Trumper glaubte einen Augenblick lang, der Applaus sei für ihn bestimmt. Dann
kam ein junger Mann in einer alten Army-Uniform, mit einem langen Bart und
gelben Zähnen und verstellte ihm den Weg.
    »Pardon«, sagte
Trumper.
    »He, warst du
das nicht?« fragte der junge Mann und drehte sich zu seinen Freunden um: »He,
ich hab’s euch doch gesagt – das ist der

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