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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Merrill.«
    »Ein
sportlicher Fick, Boggle.«
    »Nein, Merrill.
Sie ist ganz sicher noch Jungfrau.«
    »Oder ein Mann,
Boggle.«
    »Nie im Leben,
Merrill. Ihre Kurven sind ganz eindeutig.«
    »Darauf trink
ich einen«, sagte Merrill, dem die Einschränkungen durch seine Diabetes-Diät zu
schaffen machten; er war nicht sehr diszipliniert und ersetzte häufig das Essen
durch Alkohol. »Hab ich heute schon was Warmes gegessen, Boggle?«
    »Nein«,
antwortete ich. »Du hast das Essen verpaßt, weil du in Trance warst.«
    »Gut«, sagte er
und bestellte sich noch einen Slibowitz.
    Als die Übertragung
von den Skirennen im Fernsehen vorbei war, widmeten sich die Gäste des
›Tauernhofs‹ wieder ihren üblichen bäuerlichen Greueltaten. Das ungarische Trio
aus Eisenstadt spielte: Ein Akkordeon, eine gemarterte Zither und eine Violine
legten los, daß es einem kalt über den Rücken lief.
    Die Tatsache,
daß wir in einer Kneipe, in der man nur deutsch sprach, englisch redeten,
erlaubte es Merrill und mir, ungestört [130]  über alles mögliche zu diskutieren: internationalen Sport;
Hieronymus Bosch; die Rolle der amerikanischen Botschaft in Wien; Titos
beachtlichen Erfolg; den erschreckenden Aufschwung der Bourgeoisie; die
Eintönigkeit von Golf im Fernsehen; die Ursache von Herrn Hallings Mundgeruch;
die Frage, warum die Bedienung einen BH trug, ob ihre Achselhöhlen rasiert waren oder nicht, und wer
sie danach fragen würde; ob es gut sei, Slibowitz mit Bier hinunterzuspülen;
den Preis von Semperit-Gürtelreifen in Boston, den von Bourbon in Europa im
allgemeinen, von Haschisch in Wien im besonderen; über mögliche Ursachen der
Narben im Gesicht des Mannes, der an der Tür saß; darüber, was für ein
wertloses Instrument eine Zither doch ist; ob die Tschechen kreativer sind als
die Ungarn; was für eine blödsinnige, altmodische Sprache Altniedernordisch
ist; über die Unzulänglichkeiten des Zweiparteiensystems in den Vereinigten
Staaten; die Herausforderung, die es darstellte, eine neue Religion zu
erfinden; die kleinen Unterschiede zwischen Klerikalfaschisten und Nazis; die
Unheilbarkeit von Krebs; die Unvermeidbarkeit von Krieg; die allgemeine,
umfassende Blödheit des Menschen; über diese Scheißkrankheit Diabetes. Und über
die bestmögliche Art, mit Frauen Bekanntschaft zu schließen. Eine, so
behauptete Merrill, sei das »Busenlasso«. »Man hält den Skistock so«, erklärte
Merrill, packte den Skistock am unteren Ende und griff mit seinen Fingern in
den Teller, so daß sich die Stockspitze in den Handballen drückte. Dann hob er
den Stock hoch und ließ das Ende mit der Schlaufe wie einen Zauberstab kreisen;
die Schlaufe bewegte sich wie ein Lasso. »Und da kommt der Busen rein«, sagte
Merrill. Er sah zu, wie die Bedienung den Nachbartisch abräumte.
    »Nein,
Merrill.«
    »Eine kleine
Demonstration?«
    »Hier lieber
nicht, Merrill.«
    »Vielleicht
hast du recht«, sagte er und ließ seine Waffe unschuldig nach unten hängen.
»Das Geheimnis des Busenlassos liegt, [131]  zum Teil, am Busen. Es geht nur ohne BH . Und der Winkel muß stimmen. Normalerweise komme ich über die
Schulter; da sehen sie’s nicht kommen. Unter dem Arm durch, von der Seite, ist
auch gut, aber in dieser Stellung erwischt man sie nicht so leicht.«
    »Merrill, hast
du das jemals gemacht?«
    »Nein, ich hab
es mir eben ausgedacht, Boggle. Ich dachte, das sei eine tolle Art, sich
vorzustellen. Man fängt sie ein, und dann stellt man sich vor.«
    »Sie könnten
dich für etwas forsch halten.«
    »Aggressivität
ist heutzutage ein Muß.«
    Die Bedienung
schaute mißtrauisch auf Merrills schwingendes Lasso, doch sie bot, wenn
überhaupt, nur ein kleines Ziel. Außerdem konnte man Herrn Halling, der an der
Bar stand, durchaus als Moralisten bezeichnen. Merrill vergaß sein Busenlasso,
schlief mit Slibowitz ein, wachte mit Bier wieder auf und überlegte, ob er
nicht besser mit dem üblichen Urintest seinen Zuckerspiegel prüfen sollte. Doch
die Teststreifen und die kleinen Fläschchen mit den Indikatorlösungen waren
oben im dritten Stock des ›Tauernhofs‹, und das Männerklo war um diese
Tageszeit sicherlich überfüllt; er würde ins Waschbecken pinkeln müssen, was
ich, wie er wußte, nicht ausstehen konnte. Deshalb trat er weg, auf seine
eigene seltsame Art. Er saß zwar immer noch da, war aber ganz woanders. Solange
er sich dabei nicht selbst verletzte, ließ ich ihn in seinem Trancezustand. Er
lächelte. Einmal sagte er:

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