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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Zuschauer und Skiläufer brachten sich in Deckung. Ich hatte
einen Luftangriff vor Augen, aus dem Blickwinkel der Bombe.
    Unten am Hügel
gab es einen flachen Auslauf mit Bodenwellen; dort würde ich bestimmt zum
Stehen kommen, dachte ich. Wenn nicht, gab es ja noch den riesigen
Schneehaufen, den sie dort zusammengeschoben hatten, damit die Skiläufer nicht
auf dem Parkplatz landeten. Ich versuchte, mir den Schneehaufen ganz weich
vorzustellen.
    »Kanten geben!«
schrie Merrill. Kanten? »Beug die Knie, verdammt noch mal!« Die Knie? »Boggle,
um Himmels willen, laß dich fallen!« Vor den Kindern? Niemals.
    Ich erinnerte
mich daran, daß mir der Mann vom Skiverleih etwas von den Sicherheitsbindungen
erzählt hatte. Wenn sie so sicher waren, warum taten sie dann nichts?
    Als ich auf die
erste Bodenwelle traf, hatte ich das Gleichgewicht schon verloren und spürte,
wie mich mein eigenes Gewicht nach hinten drückte, auf die Fersen; die Spitzen
meiner Skier gingen nach oben wie der Bug eines Bootes. Der bedrohliche [123]  Schneehaufen, der den
Parkplatz vor meinesgleichen schützte, kam mir unheimlich schnell entgegen. Ich
sah mich schon wie eine Granate in ihn hineinschießen; stundenlang würden sie
nach mir graben und dann beschließen, mich freizusprengen.
    Die Erkenntnis,
daß Skier klettern können, war umwerfend. Ich flog
über den Schneehaufen hinweg, hinaus auf den Parkplatz. Unter mir sah ich im
Flug eine deutsche Familie von erheblichem Umfang, die gerade aus ihrem
Mercedes ausstieg. Vater Fettwanst in dicken Lederhosen und mit einem
Tirolerhut; Mutter Möpsin in Wanderstiefeln und mit einem Spazierstock mit
Metallspitze für gefrorenen Untergrund; und die Kinder: Dickerchen, Pummelchen
und Fettkloß, mit einer riesigen Ladung Rucksäcke, Winterstiefel und Skistöcke.
Der offene Kofferraum ihres Wagens wartete darauf, daß ich in ihn hineinsegelte
wie ein fliegender Fisch in den riesigen Rachen eines Wals. Hinein in den
Schlund des Todes!
    Doch genau da
schloß Vater Fettwanst, der feiste Deutsche, den Kofferraum.
    …wonach ich mich
auf Merrill Overturfs Schilderung verlassen muß. Ich kann mich nur noch an eine
überraschend weiche Landung erinnern, das Ergebnis meines warmen, fleischigen
Zusammenstoßes mit Mutter Möpsin, die zwischen meiner Brust und den
Rücklichtern des Mercedes eingekeilt wurde. Ihre süßen Worte drangen heiß in
meine Ohren: »Aaarp!«, und: »Hee-urmff!« Und die unterschiedlichsten Reaktionen
der Kinder: Dickerchen glotzte stumm, Pummelchen warf all seine Sachen wie eine
Lawine auf Fettkloß, dessen nervenzerreißendes Geschrei deutlich vernehmbar
zwischen all den Rucksäcken, Schneestiefeln und Skistöcken, unter denen er
begraben lag, hervorschrillte.
    Vater
Fettwanst, so Merrill, richtete den Blick zum Himmel empor, hielt zweifellos
Ausschau nach der Luftwaffe. Merrill kam den Schneehaufen heruntergetorkelt,
auf die Stelle zu, wo ich ganz benommen lag. Mutter Möpsin, die mittlerweile
wieder Luft [124]  geholt
hatte, stieß mich mit der metallenen Spitze ihres Spazierstocks an.
    »Boggle!
Boggle! Boggle!« Merrill kam schreiend auf mich zu. Auf dem Schneehaufen über
dem Parkplatz tauchte eine Gruppe von Leuten auf, die mich überlebt hatten, um
zu sehen, ob ich überlebt hatte. Sie sollen
Freudenschreie ausgestoßen haben, als Merrill einen meiner zerbrochenen Skier
in die Luft hielt und den anderen nicht finden konnte. Die Sicherheitsbindungen
waren aufgegangen. Vom Schneehaufen herab schleuderte der Liftwärter meine
Skistöcke wild auf den Parkplatz, über den Merrill mich vorsichtig geleitete.
Irrsinniger Applaus und Gejohle vom Schneehaufen, als sie sahen, daß ich
angeschlagen war.
    Genau in diesem
Moment, so behauptete Merrill, kam das amerikanische Paar in seinem nagelneuen
Porsche angefahren. Offensichtlich hatten sie sich verirrt; sie dachten, sie
seien bei den Skirennen in Zell. Der Mann, ein ängstlicher Typ, kurbelte die
Fensterscheibe herunter und starrte ziemlich unsicher auf die schreiende Menge
auf dem Schneehaufen. Mitleidig lächelte er Merrill zu, der dem verletzten
Skiläufer half wegzukommen. Doch die Frau des Mannes, groß, um die Vierzig, mit
vorstehendem Kinn, schlug die Tür zu und ging hinüber zur Fahrerseite.
    »Verdammt noch
mal«, sagte sie und zwang ihn, das Fenster ganz herunterzukurbeln. »Du mit
deinem miserablen Deutsch und deinem lausigen Orientierungsvermögen. Wir sind
zu spät dran. Die ersten Läufer haben wir bestimmt schon

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