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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Projekt zu
arbeiten, und sei es an diesem, und das einzige, weswegen ich und Ralph uns
bislang in die Haare gekriegt hatten, war der Titel.
    »Es ist doch
nur ein Arbeitstitel, ThumpThump. Ich ändere Titel oft noch einmal, wenn der
Film fertig ist.«
    Irgendwie
zweifelte ich in diesem Fall an seiner Flexibilität. Er [217]  wollte den Film Der Griff in die Scheiße nennen. Derartige Worte benutzte
er ständig, was mich zu der Befürchtung veranlaßte, daß er diese Ausdrucksweise
einfach viel zu gerne mochte.
    »Mach dir keine
Sorgen, Trumper«, beruhigte mich Tulpen, und an jenem langen Nachmittag in
ihrer Wohnung machte ich mir auch keine. Ich legte einen Stapel neuer Platten
auf, machte uns Tee mit Rum, rührte mit einem Zimtstäbchen darin herum, stellte
ihn auf der Kochplatte neben dem Bett warm; ich schenkte dem Telefon, das uns
einmal, als es bereits dunkel war, weckte, keine Beachtung. So vakuumverpackt
wie wir waren, kümmerte uns die Stadt nicht; wir wußten nicht, ob wir nun auf
ein Abendessen oder einen Mitternachtsimbiß oder ein frühes Frühstück Hunger
hatten; in dieser zeitlosen Dunkelheit, die man nur in einer Stadtwohnung
erleben kann, schrillte das Telefon unaufhörlich.
    »Laß es
klingeln«, sagte Tulpen und schlang die Beine um meine Hüften. Mir schoß durch
den Kopf, daß dieser Spruch ganz gut in Der
Griff in die Scheiße passen
würde, doch ich ließ es klingeln.

[218]  18
    Ein langer, beschissener Tag
    Eigentlich fängt er schon am Vorabend an, mit einem Streit, in
dem Biggie Merrill Overturf als einen naiven, wirklichkeitsfremden Hallodri
bezeichnet und außerdem behauptet, ich würde Merrill nur deshalb heroisieren,
weil er schon so lange aus meinem Leben verschwunden ist – was die unfeine
Andeutung enthält, der wirkliche Merrill in Fleisch und Blut würde mich sogar
abstoßen, zumindest in der gegenwärtigen Phase meines Lebens.
    Ich finde diese
Anschuldigungen schmerzlich und gehe zum Gegenangriff über, indem ich Merrills
Courage hervorhebe.
    »Courage!«
schnaubt Biggie.
    Sie gibt mir zu
verstehen, daß ich nun wirklich keine verläßliche Autorität in puncto Courage
bin, da ich selbst keine besitze – sondern, ganz im Gegenteil, ein ausgemachter
Feigling bin. Als Beispiel für meine Feigheit führt sie an, daß ich mich nicht
mal traue, meinen Vater anzurufen und mit ihm über meine Enterbung zu sprechen.
    Was mich blödsinnigerweise
in Rage bringt, und ich tobe los, daß ich den alten Arsch jederzeit anrufen
würde – von mir aus gleich, obwohl sich mir angesichts der Dunkelheit von Iowa
um uns herum die Vermutung aufdrängt, daß dies keine günstige Zeit für einen
Telefonanruf ist.
    »Ehrlich?«
fragt Biggie. Ihr plötzlicher Respekt macht mir angst. Sie läßt mir keine Zeit
zum Überlegen; sie wühlt in den alten Zeitungen herum und versucht die zu
finden, auf der wir irgendwann mal die Nummer von Great Boar’s Head notiert
haben.
    »Und was soll
ich ihm sagen?« frage ich sie.
    Sie hat schon
den Finger an der Wählscheibe.
    [219]  »Wie
wär’s mit ›Ich wollte nur fragen, ob du schon Post bekommen hast‹?«
    Biggie runzelt
die Stirn und wählt weiter.
    »Wie wär’s mit
›Wie geht’s? Habt ihr grad Ebbe oder Flut?‹?«
    Mit behenden
Fingern wählt sie weiter, schneidet dabei Grimassen und erwidert: »Jedenfalls
wissen wir dann endlich Bescheid, verdammt noch mal…«, und drückt mir den
tutenden Hörer in die Hand.
    »Ja, jedenfalls
wissen wir dann endlich Bescheid«, sage ich in die Muschel, und das Echo dringt
an mein Ohr, als spreche jemand von der Vermittlung zu mir, jemand mit einem
geradezu übersinnlichen Wahrnehmungsvermögen. Das Telefon klingelt und
klingelt, und ich werfe Biggie einen Blick zu, der recht erleichtert wirken
muß: Aha! Er ist nicht zu Hause! Doch Biggie deutet auf meine Armbanduhr. Dort
drüben im Osten ist es schon nach Mitternacht! Ich spüre, wie mir die Kinnlade
herabfällt.
    Biggie sagt
streng: »Geschieht dem Arsch recht.«
    Ohne eine Spur
von Müdigkeit in der Stimme meldet sich mein Vater am Telefon. Natürlich sind
Ärzte daran gewöhnt, mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt zu werden.
»Hier spricht Dr. Trumper«, sagt er. »Edmund Trumper. Worum geht es?«
    Biggie steht
auf einem Bein da, als müsse sie dringend aufs Klo. Ich kann meine Uhr ticken
hören, und Daddy sagt: »Hallo? Hier spricht Dr. Trumper. Stimmt irgend etwas
nicht?«
    Im Hintergrund
höre ich meine Mutter murmeln: »Ist es das Krankenhaus,

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