Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
anderen nehmen. Sie fliegen hier
ziemlich tief, besonders die schwerfälligen, langsamen, und das im See
reflektierte Sonnenlicht läßt ihre Bäuche aufleuchten.
Doch ich sitze
im Edsel, gegen die Armstütze gelehnt, einen Fuß an ihrem Rücken, und einen
winzigen Augenblick lang überkommt mich die Versuchung, sie durch die offene
Wagentür hinauszukatapultieren. Aber ich berühre nur sanft ihre Wirbelsäule,
und sie schaut mich über die Schulter an, ehe sie die Beine wieder ins Auto
schwingt und die Tür schließt.
Hinten im Wagen
liegt eine Decke, und ein Mädchen aus dem Wohnheim, das älter aussieht, hat
Bier für sie eingekauft, sagt sie. Außerdem gibt es noch leckeren Käse, einen
warmen Laib Pumpernickel und Äpfel.
Sie klettert
über den Vordersitz nach hinten, breitet dort das Picknick aus, und wir legen
uns die Decke über die Schultern, so richtig schön kuschelig, wie in einem
Zelt. Unter der Decke bleibt [225] ein
Stück Käse an einer dünnen blauen Vene an Lydias Handgelenk kleben. Mit ihrer
flinken Zunge leckt sie es ab und beobachtet dabei mich, wie ich ihr zuschaue;
sie hat die Beine so verschränkt, daß mir ihre Knie direkt ins Gesicht starren.
»Sie zerdrücken
mit dem Ellbogen das Brot«, flüstert sie mir zu, und ich kichere blöde.
Sie entknotet
ihre Beine und schüttelt die Decke aus, damit die Krümel herausfallen; ich
schaue zu, wie das Brot auf den Boden kullert; ich sehe, wie ihr der Rock bis
an die Hüfte hochrutscht, als sie meinen Kopf auf ihrem Schoß etwas nach oben zieht.
Ihr Unterrock ist mit Blümchen bedruckt, babyrosa und babyblau; sie erinnern
mich allzusehr an einen von Colms Kinderbettbezügen. Sie sagt: »Ich glaube, ich
liebe Sie.« Aber es klingt wie einstudiert; jedes Wort ist wohlüberlegt, und
ich weiß sofort, sie hat diesen Satz vorher geübt. Und als spüre auch sie, daß
es irgendwie noch nicht ganz paßt, verbessert sie sich: »Ich glaube, ich bin
sicher, daß ich Sie liebe.« Sie drückt ihr zierliches, schlankes Bein gegen
mich, legt sich auf die Seite und zieht meinen Kopf sanft an ihren Schenkel.
Mein Herz pocht gegen ihre Knie.
Auf ihrer
Unterhose die gleichen dämlichen Blümchen. Ein Baby im Strampelhöschen; bunte,
blumige Kleidungsstücke für die junge Dame.
Sie räkelt sich
und zieht mich sanft an den Ohren; sie hat gemerkt, daß mir die Blümchen
aufgefallen sind. »Sie brauchen nicht in mich verliebt zu sein«, sagt sie zu
mir, und wieder klingen ihre Worte einstudiert. Ich weiß, irgendwo in Lydia
Kindles Zimmer liegt ein Zettel, auf dem sie diesen Dialog notiert hat, wie ein
Drehbuch, ihn überarbeitet, mit Anmerkungen, vielleicht auch mit Fußnoten
versehen hat. Ich wüßte zu gern, welche Antworten sie für mich vorgesehen hat.
»Mr. Trumper?«
Sie schaut mich fragend an; ich küsse sie unter den Saum ihres Unterrocks und
spüre, wie sich ein kleiner Muskel [226] lockert. Sie zieht meinen Kopf hoch an ihre Vogelbrust, an die
offene Kostümjacke, unter der die Bluse wie ein sanfter Hauch auf ihrer kühlen
Haut liegt.
»Vroognaven abthur, Gunnel mik«, zitiere ich. In
solchen Situationen ist Altniedernordisch am sichersten.
Mit einem kaum
spürbaren Erschaudern setzt sie sich auf; doch selbst ein Schiff wie der Edsel
ist unbequem, und es dauert eine Weile, bis sie sich aus ihrer Kostümjacke
geschält hat. Mein Jagdanorak hat sich an der hinteren Fensterkurbel verfangen;
ich lehne mich gegen sie zurück, wie beim Bobfahren, und es gelingt mir, meine
klobigen Schuhe aufzuschnüren, während sie meine Hemdknöpfe befingert, als läse
sie ein Buch in Blindenschrift. Als ich mich zu ihr umdrehe, stelle ich fest,
daß sie ihre Bluse bereits aufgeknöpft hat; sie hockt aber mit vor der Brust
verschränkten Armen da; sie zittert, als habe sie vor, ein wenig in einem
winterlich kalten Fluß zu schwimmen.
Beinahe
erleichtert drückt sie sich gegen mich, glücklich, noch halb angezogen umarmt
zu werden, mit aufgeknöpftem Rock, der jedoch noch nicht ganz herabgerutscht
ist. Ihre feuchten Finger betasten meine Rippen und kneifen sanft in die
unselige Falte, die sich über meinem Bauch wölbt.
Lydia Kindle
sagt: »Wissen Sie, ich hab noch nie… noch niemals…«
Ich lasse das
Kinn auf ihre spitze, knochige Schulter sinken und streife mit dem Schnurrbart
ihr Ohr. »Was macht Ihr Vater?« frage ich sie und spüre, wie sie, halb
erleichtert, halb enttäuscht, Luft holt.
»Er macht in
Sackleinen«, gibt sie mir zur Antwort und tastet sich zu
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