Die wilde Jagd - Roman
Armen hielt, gegen das Gesicht und versuchte den Duft ihrer Haut heraufzubeschwören, doch alles, was er roch, waren muffiges Leinen und staubige Federn, die ihm in der Nase kitzelten. Nicht einmal ein Hauch ihres Parfums war geblieben.
Er öffnete wieder die Augen und schob sich das Kissen auf die Brust. Er sollte in der Lage sein, sich so an sie zu erinnern, wie sie gewesen war. In ihrer gemeinsamen Zeit, zuerst als Lehrerin und Schüler, dann als Liebende, war sie beinahe ein Teil von ihm geworden, doch wenn er sie heraufbeschwor, sah er sie stets nur so, wie sie am Ende gewesen war: zerschmettert und blutend in seinen Armen.
Ein Schluchzen stieg tief in seinem Brustkorb auf. Mit Zähnen und Krallen kratzte es in seiner Lunge, seiner Kehle. Er biss die Zähne zusammen. Seine Schultern bebten, aber er konnte und wollte der Trauer keinen Raum geben. Stattdessen erstickte er sie mit dem Kissen zwischen seinen Händen, bis das Zucken nachließ und das Schluchzen erstarb.
Erst als er sicher war, dass es nicht wiederkommen würde, schob er das Kissen beiseite und starrte hoch in die Dunkelheit. Er war erschöpft. Sein Körper schrie nach Ruhe, aber er konnte nicht mehr als ein paar Stunden lang schlafen. Schon seit fast einem Monat war es ihm nicht mehr möglich, nachts durchzuschlafen. Immer hatte er zu viele Träume, und zu viele Erinnerungen erwarteten ihn. Süßes wurde bitter für ihn, und Lebendiges wurde kalt und leer und grau.
Ungerufen stieg das Bild der gewölbten Krypta unter der Kapelle in ihm auf, die von Reihen sauberer weißer Glimme erhellt war. Die Frauen von Pencruik hatten die Ärmel hochgerollt und sich Kopftücher umgebunden und wuschen die Tote.
Lass mich durch, Saaron!
Nein, mein Junge. Überlasse diese Arbeit denjenigen, die daran gewöhnt sind.
Ich sollte derjenige sein, der sich um sie kümmert, und nicht irgendwelche Fremden!
Das verstehe ich. Ich weiß, dass es wehtut, aber wenn du das machst, wirst du sie nie wieder unversehrt vor dir sehen, und du wirst nicht mehr in der Lage sein, dieses Bild abzuschütteln. Glaube mir, es ist besser so .
Besser? Verbitterung verzog Gairs Lippen zu einem höhnischen Grinsen. Das hier sollte besser sein? Er konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen.
Plötzlich entzündete sich eine sengende Wut in ihm. Er setzte sich auf und schleuderte das Kissen quer durch den Raum. Es prallte so heftig gegen die Tür, dass die Klinke klapperte, dann fiel es zu Boden. Der eine Türflügel schwang langsam auf.
Savin. Gair ballte schon die Fäuste, als er den Namen bloß dachte. Savin mit seinen Tricks und seinem ganzen Theater und den Spielchen, die er mit dem Leben der anderen trieb. Zum Beispiel mit dem armen Darrin, einem Bauern auf dem Schachbrett, den er geopfert hatte, um dem König Schach zu bieten, als ob er ein Nichts wäre. Als ob er gar nicht zählte.
»Ich hätte ihn töten sollen«, murmelte er.
Du hast dein Bestes versucht, dort draußen bei den Fünf Schwestern .
Sie stand in den Schatten, beobachtete ihn und lehnte sich gegen den offenen Türflügel. Sein Herz tat einen schmerzhaften Sprung.
Mein Bestes war nicht genug . Es war nicht annähernd genug gewesen. Er musste schneller und stärker werden, und dann würde er Savin die Rechnung für seinen Angriff auf das Kapitelhaus präsentieren, bis auf den letzten Heller.
Sei nicht so hart mit dir selbst, Leahner. Du könntest auch Alderan oder Godril oder die anderen, die dabei gewesen sind, verantwortlich machen.
Aber ich hätte ihn aufhalten müssen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Wenn ich das getan hätte, wärest du jetzt noch hier. Ich habe versagt, Aysha!
Er blinzelte, und sie verschwand und ließ nichts zurück außer dem Mondlicht auf ihrer Lieblingsstola, die an einem Haken an der Tür hing. Eine Falte im Stoff, einige Schatten und das Gefühl des Verlustes hatten den Rest besorgt. Er vergrub das Gesicht in den Armen.
Bei allen Heiligen, er war so müde. Seine Augen brannten, und hinter ihnen hockte ein dumpfer Schmerz, der niemals nachließ, egal, was er unternahm. Er war so müde, dass er schon mit einem Gespenst redete.
Er kniff die Augen zu und legte den Kopf in die Hände. »Ich vermisse dich, Carianh .«
Aysha gab keine Antwort. Es war niemand hier außer ihm und dem Nachtwind draußen, der sanft an den hohen Fenstern rüttelte, die hinaus auf den Balkon führten.
Aysha war weg.
Es war schon fast die neunte Stunde, als Sorchal über den Weg am Rande des Übungshofes
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