Die wilde Jagd - Roman
schritt, den Umhang nachlässig um die Schultern gelegt, das Hemd nicht richtig in die Hose gesteckt. Gair stieß sein Schwert in den Staub und stützte sich auf den Griff. Dies war das dritte Mal in dieser Woche, dass sich der Elethrainer verspätete.
»Guten Morgen«, sagte Gair trocken.
Sorchal grinste und machte eine übertriebene Verbeugung. »Guten Morgen, Herr Ritter! Möge dich die Göttin an diesem wunderbaren Morgen segnen.« Er schwankte, als er sich wieder aufrichtete, was die Wirkung ziemlich zunichtemachte.
»Bist du noch immer betrunken?«
»Sehr wahrscheinlich.«
Gair seufzte. »Ich war der Meinung, wir wollten heute gleich nach dem Morgengebet üben.«
»Ach ja.« Diesmal wirkte Sorchal aufrichtig zerknirscht. Er senkte den Kopf und fuhr sich mit den Fingern durch das ungekämmte Haar. Der Schatten eines Bartes an Wangen und Kinn verriet, dass er die ganze Nacht hindurch auf den Beinen gewesen war. Seine grünen Augen blitzten auf, er grinste, dann zuckte er mit den Schultern, als ob das alles wieder ins Lot bringen würde. »Ich wurde … aufgehalten.«
»Ich verstehe.« Gair hob sein Schwert wieder, schaute an der Klinge entlang bis zur Spitze und versuchte, seine Verärgerung im Zaum zu halten. »Wie war denn ihr Name?«
»Molly, glaube ich. Oder auch Maisie. Blaue Augen und Sommersprossen – so gesund, dass ich sie sogleich vernaschen wollte. Und das habe ich dann getan.« Sorchal legte seinen Umhang über das Geländer und lehnte sich dagegen. »Wenn du mich fragst, ist das genau das, was du brauchst.«
»Was?«
»Du brauchst eine Frau.«
Gair starrte ihn an. »Wie bitte?«
»Eine Frau, die dich richtig aussaugt.«
Früher hätten ihn solche Worte verlegen gemacht, doch jetzt fühlte er sich bloß beleidigt, weil jemand – auch wenn es sich nur um einen Wüstling wie Sorchal handelte – glauben konnte, seine Trauer sei so schnell überwunden.
»Dafür ist es noch viel zu früh«, sagte er.
Der Elethrainer schnalzte mit der Zunge. »Ich weiß, dass es erst einen Monat …«
»Weniger als einen Monat.«
»… her ist, aber in der Dreipfenniggasse gibt es ein sehr diskretes Haus mit feinen Federbetten und einem guten Frühstück hinterher.« Er holte einen Goldimperial aus seiner Tasche und warf ihn in die Luft. »Hier. Ein Geschenk von einem Freund an einen Freund.«
Auf dem Höhepunkt ihres Fluges fing die Münze das Morgenlicht ein und blitzte so hell auf wie die Krone eines Feueradlers. Gair blinzelte und folgte der Flugbahn, als die Münze auf ihn zufiel.
Vierundzwanzig Tage, neunzehn Stunden und etwas mehr als dreißig Minuten. Es war nicht ganz genau; aber das musste es auch nicht sein. Er zählte sie nicht mehr als verlorene Tage – der größte Teil des Lebens lag noch vor ihm –, aber als verstrichene Tage, bevor er Rache nahm. Kein anderes Maß ergab einen Sinn.
Er hob die Klinge. Metall klirrte gegen Metall, und Sorchal musste sich ducken, als die Münze über seinen Kopf schoss und von der Wand hinter ihm abprallte.
»Verdammt, das sind keine Hafenflittchen«, brummte er, kletterte über das Geländer und trottete zu der Wand, vor der seine Münze lag. Er rieb mit dem Daumen über den Rand, wo das Langschwert eine tiefe Kerbe im Gold hinterlassen hatte. »Es sind nette Mädchen, sehr sauber, und ich kann ihr Talent bezeugen. Da ist eine Rothaarige, die einen Toten zu …«
»Bei allen Heiligen, Sorchal!« Gair sah ihn eindringlich an. Hier ging es ganz und gar nicht um die Qualität der Mädchen. » Nein! «
»Weil dabei Geld die Hände wechselt?«
»Das ist ein guter Grund dagegen.«
Ein Sklavenhändler hatte sein Zeichen in Ayshas Nacken hinterlassen. Es war die Tätowierung eines zunehmenden Mondes mit Sternen zwischen den Enden gewesen. Das ist bloß Tinte , hatte sie gesagt, aber für ihn hatte es wie ein Brandzeichen ausgesehen, und er hatte die Vorstellung verabscheut, dass ein Mann sie als sein Eigentum markiert hatte. Wenn jemand ein Haus voller Frauen unterhielt und sie stunden- oder nächteweise vermietete, war das kaum etwas anderes.
»So ist das in der freien Wirtschaft, mein Freund. Die Frauen bieten einen wesentlichen Dienst an und fordern eine angemessene Bezahlung. Was soll daran falsch sein?« Sorchal schenkte ihm ein träges Lächeln. »Lang lebe der Geschäftssinn, sage ich.«
Eine Frau war nicht das, was Gair brauchte. Keineswegs. Er legte die Hände um den Griff des Langschwerts, der schon dunkel vom Schweiß der zweistündigen
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