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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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hinunter. Bevor sie auf die Straße traten, packte Merritt Jack am Arm.
    »Jack, ich will ganz offen sprechen. Ich kann nicht sagen, dass ich damit einverstanden bin, was heute passiert ist. Ichweiß, du hast schon harte Zeiten hinter dir, aber diese Geschichte mit dem Hund … das hat mich etwas schockiert, muss ich sagen.«
    »Aber was die mit dem Jungen gemacht haben …«
    »Sicher hatten sie es verdient, Jack! Ich bin kein Feigling und scheue mich auch nicht vor einer Auseinandersetzung. Aber einen Moment lang hast du echt … wild ausgesehen.«
    »Das ist die Wildnis, Merritt«, sagte Jack. Ihm fiel noch soviel mehr ein, was er dazu sagen könnte – dass man auf sich selber aufpassen musste, töten oder getötet werden –, doch stattdessen ging er in die Nacht von Dawson hinaus, und Merritt folgte ihm.
    Sie fanden einen Tisch in der Ecke der Dawson Bar und schlürften an ihren Drinks, während die Welt an ihnen vorbeizog. Die Kneipe war zwar genauso wie Dutzende andere, die Jack am Hafen von Oakland besucht hatte, doch etwas an dieser Spelunke war noch härter, noch gefährlicher. Es dauerte eine Weile, bis Jack es beim Namen nennen konnte – erst nach zwei sparsam und genüsslich genippten Drinks wusste er, was es war: Verzweiflung. Der Laden brummte davon. Sie wand sich um jedes lächelnde Gesicht und jeden lachenden Mund, und Dawson war nachts wirklich kaum anders als am Tag. Der einzige kleine, aber feine Unterschied war die Art, in der die Leute ihre Enttäuschung und Desillusionierung zum Ausdruck brachten.
    »Ich werde niemals so sein, Merritt«, erklärte Jack. »Ich werde immer Hoffnung haben. Versprich mir, du auch.«
    »Natürlich werde ich das!«, meinte Merritt grinsend. »Ich weiß, was du siehst, Jack, aber gib den Leuten hier eine Chance.Viele sind bestimmt schon seit über einem Jahr hier, von ihren Freunden und Familien getrennt, und tun ihr Bestes um …«
    »Ich wette, die Hälfte hat Dawson noch nie verlassen, seit sie hergekommen sind! Und die nennen sich Goldgräber?« Jack sah sich um und versuchte, die Goldgräber von denen zu unterscheiden, die von den Bedürfnissen der Goldgräber lebten. Vielleicht war er wirklich unfair: Immerhin nutzten sie selber die begrenzten Möglichkeiten, die Dawson ihnen bot. Doch Jack fühlte sich so unabhängig und entschlossen, dass er kein Verständnis dafür hatte, wie jemand es so weit schaffen und nicht den letzten entscheidenden Schritt gehen konnte. Das hier hätte eine Kneipe irgendwo sonst in Amerika sein können, doch jenseits dieser Türen wartete in der Wildnis vielleicht ein fürstlicher Goldschatz auf seinen Entdecker.
    Und es ging nicht nur ums Geld. Es ging darum, das Leben am Schopf zu packen und bis zum Anschlag auszukosten. Diese Menschen hatten ihre Abenteuerlust verloren, und nachdem sie sich durch die Wildnis und unzählige Strapazen gequält hatten, richteten sie sich hier wieder ein Leben ein, das sich vermutlich kaum von ihrem früheren Leben unterschied.
    »Für dein Alter bist du ein ganz schön harter Kerl«, fand Merritt. Jack war schockiert. Er sah, dass sein Freund es ernst meinte, und nicht nur wegen der Prügelei von vorhin. Es war mehr als das.
    Stimmt das wirklich? fragte er sich. Wer ist Jack London? Er dachte darüber nach, während er trank. Wie hätte er wissen können, dass diese vertraute Frage innerhalb weniger Wochen eine Antwort finden würde, die er sich nicht im Traum hätte vorstellen können?An der Bar erzählten hohläugige Goldsucher ihre Geschichten jedem, der ihnen etwas zu trinken spendierte. Örtliche Krämer, verlorene Seelen ohne Mumm, in die wahre Wildnis aufzubrechen, zurückgelassene Frauen und Neuankömmlinge, die vor Aufregung fast zitterten, ihre Träume endlich zu erfüllen … Alle versammelten sich am Tresen, um die Erzählungen von legendären Hundeschlittenrennen, Faustkämpfen und Morden zu hören und von denen, die unsagbar reich geworden waren. Die Kneipe dampfte vor Neid und Missgunst, völlig beherrscht von der allgemeinen Goldgier, die bei allen gleich war.
    Unter diese Geschichten mischten sich jedoch auch andere – die Sagen und Legenden des Nordens. Sie handelten von Indianerflüchen, Flussgöttern und umherstreifenden Gespenstern, die man in der Unendlichkeit des Yukons finden konnte, sofern man den halbbetrunkenen Erzählern Glauben schenken konnte. Manche der Geistergeschichten wurden von Männern erzählt, die tatsächlich so aussahen, als hätten sie ein Gespenst gesehen.

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