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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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sich, als sei das alles das Normalste von der Welt. War sie eine Hexe? Vielleicht. Doch wenn er ihr in die Augen sah, sah er keine Hexe.
    » Könnte ich denn gehen?«, fragte er.
    »Natürlich!« Sie lachte. »Wir sind hier immer noch im Yukon, auch wenn mein Garten ein … ganz besonderer Teil davon ist.«
    »Inwiefern?«
    Lesya zuckte die Achseln und wandte den Blick ab, als wüsste sie nicht genau, wie sie antworten sollte.
    »Du hast mich vor dem Wendigo gerettet«, sagte er und durchbrach damit das peinliche Schweigen. »Aber wie hast du mich hierhergebracht?«
    »Ich habe dich getragen«, erklärte sie, als ob das die dämlichste Frage wäre, die sie je gehört hatte.
    Sie war ein sehr zartes Mädchen, sicher fünfzehn Kilo leichter als Jack. Auch wenn er nach dem langen Winter und dem Marsch der Sklaventreiber ausgezehrt war, wie wollte sie ihn getragen haben? Und sie schien daran nichts Besonderes zu finden.
    »Dieses Haus, deine Hütte … du weißt, dass die Bäume leben?«
    Lesya lächelte nachsichtig und verdrehte die Augen. »Sicher. Alle Bäume leben, oder?«
    »Nicht die, aus denen man Häuser baut.«
    Das Mädchen runzelte die Stirn, nicht wirklich verächtlich, aber ein bisschen herablassend. »Das ist doch schade, oder? So ist es viel schöner.«
    Dagegen konnte Jack nichts sagen, auch wenn er es gerne getan hätte. Verstand Lesya wirklich nicht, wie außergewöhnlich ihr Heim war, oder tat sie nur so und war in Wahrheit längst nicht so naiv, wie es schien?
    Wieder blickte er zur Tür.
    Bestürzt trat sie beiseite. »Aber wenn du unbedingt gehen willst … wenn dir meine Gastfreundschaft und mein Zuhause so wenig gefallen … dann tut es mir leid, dich hergebracht zu haben. Dann geh, wenn du musst.«
    »Es ist nur …«
    »Du hast Angst.«
    Er wollte schon nicken, überlegte es sich jedoch anders: »Nein, keine Angst, sondern …« Ein besseres Wort fiel ihm aber nicht ein.
    Lesya trat näher an ihn heran. So nah, dass ihr betörender Duft ihm wieder in die Nase stieg. Sie nahm seine Hände in ihre und sah ihm forschend in die Augen.
    »Bleib hier und werde wieder gesund, Jack. Dieser Teil des Waldes kommt dir vielleicht seltsam vor, aber für mich ist das mein Zuhause, es gibt hier nichts, vor dem man sich fürchten muss. Du bist bei mir sicher.«
    Ihre Finger berührten sich, ein Funke schoss ihm den Arm hoch und durch seinen Körper. Einen Moment lang spürte er dieselbe Nähe, die sie, vor Angst gelähmt, unter den Felldecken geteilt hatten, als der Wendigo, gierig auf der Suche nach ihrem Fleisch, an ihnen vorbeiging. Wie lange war es her, dass er einem Mädchen so nahe gewesen war? Zu lange auf jeden Fall. Und einem so hübschen und zarten, offenen und ernsten Mädchen wie Lesya war er noch nie nahe gewesen.
    Wenn sie eine Hexe war, die ihn verzaubert hatte, war das Jack auch recht. Doch ein Mädchen wie sie brauchte keinen Zauber, um einen Mann atemlos und gefügig zu machen. Er glaubte ihr, wenn sie sagte, er sei bei ihr sicher. Schließlich hatte sie ihm direkt vor der Nase des Wendigos das Leben gerettet. Das war ihm genug Beweis.
    »Ich sollte meinen Eintopf aufessen«, sagte er.
    Erfreut drückte sie seine Hände und nickte. »Ja, da hast du recht. Ich habe auch Wein, wenn du magst.«
    Jack grinste. Whisky wäre ihm lieber gewesen, aber Wein war auch in Ordnung.Lesya hielt ihr Versprechen. In den folgenden Tagen sorgte sie für ihn, während er sich auskurierte. Nachts schlief er in Fellen und Decken gewickelt, die Tage verbrachte er ebenfalls in ihrem Bett und atmete ihren Duft ein, während Lesya den Wald nach Wild durchstreifte, scheinbar ohne es je jagen zu müssen, oder im Garten Obst und Gemüse pflückte. Wenn sie zusammen in der Hütte waren, kochte sie ihm eine fantastische Auswahl an Gerichten mit Kräutern und Gewürzen aus ihrem Garten. Nach ein paar Tagen hörte er auf, sich über die unglaubliche Vielfalt ihres Lebensmittelangebots zu wundern.
    Obwohl Lesya protestierte, er solle sich ausruhen und gesund werden, wollte er nach dem dritten Tag nicht mehr drinnen bleiben und sich von ihr so vollständig bedienen lassen. Holzhacken konnte er noch nicht und nur wenige Holzscheite tragen, ohne seine zusammenwachsenden Rippen zu sehr zu belasten, doch als er ihr beim Gemüseernten helfen wollte, hatte sie nichts dagegen. Schon mit dieser bescheidenen kleinen Aufgabe fühlte er sich gleich sehr viel besser. Er brauchte sinnvolle Beschäftigung, um sich wohlzufühlen. Bald

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