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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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Zeit, die es brauchte, die Suppenschale vom Tisch zu holen und mit Eintopf zu füllen, vor allem Fleisch und Gemüse und nicht nur Brühe. Er kehrte damit zum Tisch zurück, hatte seine Verletzungen kurzzeitig völlig vergessen und achtete nur darauf, keinen Tropfen zu verschütten. Er ließ sich auf einen Stuhlnieder, nahm den Löffel und führte den ersten Bissen an seine Lippen. Ein üppiges Geschmacksfeuerwerk breitete sich in seinem Mund aus, dann gewann der Hunger die Oberhand. Danach bereute er zwar die Flecken, die er auf dem weißen Spitzendeckchen gemacht hatte, doch er konnte einfach nicht anders. Jack hätte schwören können, dass er noch nie etwas derart Köstliches geschmeckt hatte. Als er den Löffel abermals in die Schale tauchte, spürte er, wie wund sein Zahnfleisch war, und das erinnerte ihn an die Schwielen an seinen Armen und Beinen, alles Symptome für Skorbut.
    Jack blinzelte und starrte in die Suppenschale. Karotten. Kartoffeln. Kohl. Allesamt bekanntermaßen gut gegen Skorbut, genau das, was er jetzt brauchte. Das Mädchen, oder wer auch immer diese Suppe zubereitet hatte, ernährte ihn nicht nur, sie heilte ihn auch. Doch das war es nicht, was ihn auf einmal mit dem Löffel über der Suppe innehalten ließ.
    Woher hatte sie hier im hohen Norden so früh im Jahr bloß solches Gemüse? Der Boden war eben erst vor wenigen Wochen aufgetaut.
    Er tauchte seinen Löffel wieder ein und aß weiter, doch nun wurde sein Gehirn genauso gierig und hungrig wie sein Magen. Während er aß und neue Energie bekam, sah er sich wieder in der Hütte um. Sicherlich wohnte das Mädchen doch nicht alleine hier? Aber Jack konnte nichts erkennen, was auf einen Mann schließen ließ. Allein schon die Blümchendecke ließ vermuten, dass nur Frauen in diesem Bett zu schlafen pflegten. Vielleicht eine Schwester oder die Mutter, die bei ihr wohnten?
    Aber wie konnten sie hier überleben?
    Überleben. Das Wort hallte ihm durch den Kopf. Sein Löffel klapperte in der leeren Suppenschale, er stand automatisch auf,um sich nachzunehmen. Während er sich mehr Suppe holte, betrachtete er weiter seine Umgebung, und dasselbe unwirkliche Gefühl, das er beim Erwachen gehabt hatte, beschlich ihn wieder. Eine Hütte – ein Häuschen – im Wald, ein Feuer im Kamin, Essen für einen verirrten Fremden … es war wie im Märchen. Doch er war immer noch er selbst, Jack London. Seine Verletzungen, sein Hunger waren echt. Die Wärme, die Kamin und Ofen abstrahlten, war echt. Der üppige Geschmack der Suppe … das war auch echt.
    Das ist kein Märchen , sagte er sich.
    Doch überall um ihn herum waren Anzeichen des Unmöglichen. Frisches Gemüse so früh im Jahr, mitten in der Wildnis. Dann diese Hütte selbst, so perfekt konstruiert. Während Jack mit der Schale in der Hand am Herd stand, waren es die fehlenden Dinge, die ihm auffielen. An den Wänden der Hütte fehlten sämtliche Werkzeuge, die zum Überleben notwenig waren. In jeder anderen Hütte, die er je von innen gesehen hatte – zumeist in viel milderen Regionen als hier, doch auch in dem winzigen Hüttchen, wo Merritt, Jim und er überwintert hatten – waren diese Dinge vorhanden oder früher mal vorhanden gewesen.
    Es hingen keine Schneeschuhe an der Wand, und es gab keine Haken dafür. Er sah weder Angelrute noch Kescher noch Jagdgewehr. Genau genommen waren gar keine Waffen zu sehen. Sicherlich musste es außen an der Hüttenwand eine Art Schuppen geben, wo Feuerholz gestapelt und Werkzeug verstaut werden konnte – Schaufel, Axt und Säge. Doch selbst in dem Fall würden die Waffen sicherlich in der Hütte aufbewahrt werden.
    Als seine Neugier stärker als sein Hunger wurde, nahmJack den Löffel vom Tisch und ging, während er aß, in der Hütte herum, die Schüssel knapp unter dem Kinn. Seine Suche brachte nichts zutage, was seinen bisherigen Beobachtungen widersprach. Immer noch über die bauliche Qualität der Hütte erstaunt, nahm er noch einen Löffel und machte am Kamin Halt, in dem das Feuer nun etwas niedriger brannte, und untersuchte die Wand. Die Baumstämme, aus denen die Wand bestand, waren perfekt zusammengefügt, jeder fast genau gleich groß. Er streifte mit einem Finger an der horizontal verlaufenden Fuge zwischen zwei Stämmen entlang.
    Womit hatte der Erbauer die Lücken verfugt? Er ging die gesamte Wand ab, um den Kamin herum, und bemerkte, wie eben und gleichmäßig die Stämme waren. Es gab keine Unregelmäßigkeiten, keine Lücken, die mit Stöcken

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