Die Wildnis
gemächlichen Spaziergänge im Wald wechselten sich ab mit gemütlichen Abenden am Kamin oder den betörenden Düften von Lesyas Kochkünsten, die die Hütte erfüllten. Sie hatte ihm mehr über Kräuter und Gewürze beigebracht, als er sich je hatte vorstellen können. Für heute Abend hatte sie ihm Karibu-Steaks versprochen und war in der Frühe zum Jagen aufgebrochen.
Unbewaffnet.
Jack fragte sich, wie sie das Tier fangen oder töten wollte, wie sie es zur Hütte tragen wollte und wo sie den Rest lagern wollte, den sie nicht essen konnten. Aber er hatte gelernt, wie sinnlos solche Fragen waren. Lesya würde nur lächeln, als wäre die Frage albern und Jack die Antwort selber wissen müsste.
Allein in der Hütte hatte er Tee gekocht und sich hingesetzt, um zu versuchen, Alexandre Dumas auf Französisch zu lesen. Bald hatten ihn die warme Brise vom offenen Fenster und der Duft des Frühlings vor die Tür gelockt. Nun war er ganz fasziniert von den Bäumen am Rand der Rodung um Lesyas Hütte. Die Neugier nagte an ihm. Eine Rodung war es ja nicht wirklich. Er sah keinerlei Anzeichen, dass irgendwelche Bäume gefällt worden waren, um Platz für die Hütte zu schaffen. Eswaren weder Baumstümpfe noch Kuhlen zu sehen, wo Bäume entfernt worden waren. Dennoch standen die Bäume ordentlich in Reih und Glied wie Zaunpfähle um die Hütte und den Garten.
Jack setzte seinen Tee auf dem Bücherregal an der Tür ab. Vielleicht würde er mit Alexandre Dumas spazieren gehen und sich einen umgestürzten Baum suchen, auf dem er in der Sonne sitzen und lesen könnte. Lesya nahm ihn so völlig für sich ein, dass ihre schlendernden Spaziergänge sein Bedürfnis, den Wald zu erforschen, komplett befriedigten. Sie schienen jeden Tag einen anderen Weg zu gehen, Jack gefiel die Vorstellung, diesen Wald hier kennenzulernen.
Er konnte zwar nicht ewig hier bei ihr bleiben, aber es gab Augenblicke – wenn sie ihn auf eine ganz bestimmte Art ansah, wenn er sie im Arm hielt und ihren Duft roch, wenn sie lachte –, da wünschte er sich, nie mehr in die Zivilisation zurückkehren zu müssen. Wenn dieser kleine Hain das einzige Stückchen Wildnis bliebe, das er je erobern sollte, war das einem Teil von ihm nur recht.
Aber nur einem Teil. In seinem Herzen wusste er, dass er nicht bleiben konnte und dass der Abschied von Lesya sehr schmerzhaft sein würde. Jedes Mal, wenn er an seine Familie in Oakland dachte, die auf Nachricht von ihm wartete, begrub er die Gedanken daran tief. Mit ihrem Duft noch in der Nase, der Zartheit ihrer Haut noch an den Händen, schob er den Gedanken daran, eines Tages aufbrechen zu müssen, so weit wie möglich von sich. Auf einen anderen Tag, eine andere Woche. Vielleicht würde er auch bis zum Sommer bleiben.
Mit dem Buch in der Hand ging Jack durch den Blumengarten vor der Hütte. Die Blumen schienen jeden Tag mehr zublühen, ihre Farben wurden immer leuchtender. Die Bäume am Waldrand teilten dieses Leuchten nicht. Ob weiße Birke oder schwarze Kiefer, sie warfen völlig normale Schatten. Und wenn die Vögel in ihren Ästen mehr und lauter sangen, als er es von anderen Wäldern kannte, schrieb Jack das der Abwesenheit von menschlichen Störenfrieden zu.
Nun blieb er am Waldrand stehen und untersuchte den Stamm eines Baumes. Sein Blick wanderte von einem Baum zum nächsten. Er sah, dass die regelmäßige Anordnung der Bäume um das Haus keine Einbildung war. Er nahm das Buch in die linke Hand und presste die rechten Handfläche gegen die Rinde eines Baumes. Die drückte sich ihm in die Haut, fühlte sich aber völlig normal an.
Es ist nur ein Baum , sagte er sich. Welche Zauberkräfte auch für Lesyas Haus verantwortlich waren – er hatte sich schon längst mit dem Gedanken abgefunden, dass es Zauberkräfte waren –, diese Bäume waren einfach nur Bäume. Er suchte den Fuß des Stammes ab, folgte den Wurzeln unter der Erde, die auf die Blockhütte zuliefen. Waren die Wurzeln miteinander verbunden? Er hatte sich schon vorgestellt, dass die Hütte Teil des Waldes sei, doch nun fragte er sich, ob das Gegenteil vielleicht der Fall sei, ob der Wald, oder dieser Ring aus Bäumen zumindest, Teil der Hütte wäre.
Er suchte die sonnigste Schneise zwischen den Bäumen, ließ die Lichtung hinter sich und marschierte los. Das Buch in seiner Hand fühlte sich gut an, das Gefühl des Einbands war ihm ein Trost, eine handfeste, vertraute Verbindung zur Zivilisation, die er hinter sich gelassen hatte. Bei dem Gedanken
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