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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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regte sich etwas … und erwachte. Woraus auch immer Lesyas Zauber bestand, Jack konntenicht anders, als zu glauben, dass sie ihm ein bisschen davon eingepflanzt hatte.
    Sie streichelte weiter seine Kehle, als lenkte und leitete sie den Ruf aus ihm heraus, er öffnete den Mund, um ihn herauszulassen. Das Ergebnis war eine schlechte Imitation ihres Rufes, trotzdem riss Jack überrascht die Augen auf.
    »Versuche dir vorzustellen, du wärst ein Kojote«, erklärte sie. »Lass den Ruf von tief unten aufsteigen, ganz natürlich, ohne Zwang. Und sei nicht so schüchtern.«
    »Schüchtern? Ich?«, spottete Jack. Schüchtern war ja wohl das Letzte, was er je gewesen war. Aber Lesya hob eine Augenbraue, und er wurde rot.
    »Unsicher«, sagte sie. »Du musst dich frei und natürlich fühlen, nicht beobachtet. Ich bin’s ja nur.«
    Er lächelte, nickte und versuchte es noch mal. Lesyas Hände und Finger taten ihren Anteil, doch diesmal fühlten sie sich fast wie ein Teil von ihm an … nicht wie von jemand anderem. Diesmal wurde sein Ruf von dem fernen Kojoten erwidert.
    »Habe ich gerade … die Sprache der Kojoten gesprochen?«, fragte Jack staunend.
    »Das hast du.« Lesya lachte. »Soll ich dir auch die Sprache der Vögel beibringen?«
    An diesem Nachmittag und den folgenden Tagen zeigte ihm Lesya unglaubliche Dinge.
    Jack hatte schon immer schnell gelernt. Er konnte beinahe schon lesen, bevor er sprechen konnte, und hatte in seinem kurzen Leben Tausende von Büchern verschlungen, sowohl Sachbücher als auch Romane. Er sog das Wissen auf wie ein Schwamm, wo immer er es kriegen konnte. Doch seine wahreBegabung lag darin, wie er sich dieses Wissen zunutze machte. Sein Gehirn war nicht nur ein Informationsspeicher, sondern eine Werkstatt, in der dieses Wissen sortiert und neu vermischt wurde. Er war gierig nach Wissen, und nach all der Zeit, die er nun im Yukon verbracht hatte, stillte sein Aufenthalt hier bei Lesya diese Gier mehr als je zuvor.
    Sie brachte ihm bei, die Flugarten der Vögel zu unterscheiden, ihre Bahnen vorauszusehen und ihre Gewohnheiten und Eigenarten zu erkennen. Manche ihrer Rufe waren recht einfach zu erlernen, andere wiederum sehr schwer. Lesya übte sie mit ihm, und er spürte, wie ihre Zauberkraft mehr und mehr Türen in ihm öffnete. Manche Dinge, die sie ihn lehrte, hatten mit Zauberei nichts zu tun. Es waren vielmehr die merkwürdigsten, banalsten Bemerkungen, die plötzlich bei ihm Klick machten. Denk an geschmolzene Butter in der Pfanne, sagte sie etwa, und das nächste Mal, als er den Ruf des Grauwürgers probierte, hätte er der Vogel selbst sein können. Rieche den Duft der Maid-Marion-Rose , schlug sie vor, und als er pfiff, hörte er die Goldwaldsänger aus den Bäumen um die Lichtung herum antworten.
    Sie gingen in den Wald, wo sie ihm noch mehr Rufe beibrachte – die der Elche, Bären, Büffel, Karibus, Wapitis und Berglöwen. Manche waren schwieriger als andere, aber es lag nie an seinem Mund oder seiner Kehle. Lesya half ihm, die natürlichen Grenzen zu überwinden, die die Natur ihm auferlegt hatte, und brachte ihm bei, die seelische Verbundenheit tief in seinem Inneren zu spüren, die es zu diesen Tieren gab. Er streckte sich ihnen entgegen, lauschte ihrer Stimme unterwegs, und manchmal kam der Kontakt schnell zustande. Sobald die Verbindung hergestellt war, konnte er den Geruchdes jeweiligen Tieres erkennen, hörte, wie es am Boden nach Fährten seiner Beute schnüffelte oder zwischen den Backenzähnen zähe Gräser zerkaute. Vor seinem geistigen Auge sah er das Tier. Und wenn er den Ruf übte, röhrte und kreischte oder knurrte auch das Tier. Er konnte die Hand ausstrecken und sein Fell oder seinen Pelz in den Händen fühlen, und zugleich stellten sich seine eigenen Haare auf. Er spürte den kühlen Boden unter seinen Füßen, ohne ihn zu sehen.
    Andere Male war es sehr viel schwieriger, ein Tier ausfindig zu machen, und er erkannte, dass die Tiere sich listig vor ihnen versteckten. Lange suchte er nach einem Puma, und als sich die Sonne über den Hügeln und Wäldern im Westen senkte, begann er zu verzweifeln, jemals einen zu erwischen. Er hatte das Brüllen des Grizzlybärs und den traurigen Ruf des Wolfs gelernt, aber selbst solche unglaublichen Errungenschaften bedeuteten ihm nichts, wenn er den Berglöwen nicht zu fassen bekam. Er schimpfte sich einen Dummkopf, so zu denken, vielleicht war er vor lauter neu entdecktem Talent überheblich geworden, doch das Gefühl des

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