Die Wildrose
untersuche bloß einen Todesfall, einen Selbstmord, der vor ein paar Jahren passiert ist. Für einen Freund von mir. Das ist alles.«
»Und du glaubst, den Scheiß kauf ich dir ab? Glaubst du das wirklich, Sid? Echt?«
Während Madden tobte, warf Sid einen verstohlenen Blick auf Teddys Schreibtisch und suchte verzweifelt nach einem Gegenstand, der ihm nützlich sein könnte. Einem Briefbeschwerer, einem Papiermesser. Nur für den Fall. Billy Madden war immer schon ein bisschen irre gewesen, aber in den letzten Jahren musste er völlig durchgedreht sein. Seine Augen flackerten, und er schäumte förmlich beim Sprechen.
»Billy, ich schwör dir, ich will mein altes Gebiet nicht zurück. Du kannst es behalten. Mit all meinen Segenswünschen«, sagte er.
»Ach ja? Dann sag mir, was du hier machst! Was interessiert dich eine alte Tante, die sich vor Jahren umgebracht hat?«
Sid hätte Billy die Wahrheit sagen und sich retten können. Aber er tat es nicht. Niemals und unter keinen Umständen würde er Billy Madden verraten, dass er inzwischen eine Frau hatte, dass Maud deren Schwester war und er bloß herausfinden wollte, ob sie wirklich Selbstmord begangen hatte, damit seine Frau ihren Frieden fand. Ganz egal, was ihm passieren sollte, er würde Billy Madden kein Sterbenswörtchen über India oder ihre gemeinsamen Kinder erzählen.
»Diese alte Tante war für jemanden sehr wichtig. Einen Freund von mir. Deshalb interessiere ich mich für sie.«
Billy schüttelte den Kopf. »Erledigt ihn«, sagte er.
Das hatte Sid erwartet. Blitzartig packte er einen Steinlöwen vom Schreibtisch und warf ihn Teddy an den Kopf. Er traf ihn so schwer an der Schläfe, dass er außer Gefecht gesetzt war. Dann drehte er sich um, um Billys Schergen ins Visier zu nehmen. Vor ihrem Boss hatte er keine Angst, der war ein Feigling, aber diese Typen waren ein anderes Kaliber. Wenn er hier lebendig rauskommen wollte, musste er irgendwie an ihnen vorbei. Er stürzte sich auf sie, teilte ein paar kräftige Hiebe aus, spaltete einem die Lippe und brach dem anderen die Nase, aber diese Kerle waren jünger, stärker und größer als er. Sie trafen ihn hart, und nach einem gut gezielten Schlag auf den Hinterkopf ging er zu Boden.
»Hebt ihn auf und raus mit ihm«, befahl Billy und sah verächtlich auf Sid hinab, der benommen, stöhnend und mit blutbeschmiertem Gesicht am Boden lag.
»Was habt ihr mit ihm vor?«, fragte Teddy. Er drückte ein Taschentuch auf die Wunde an seiner linken Schläfe. Der weiße Stoff färbte sich schnell rot, und sein Anzug war mit Blutflecken übersät.
Billy hatte sich etwas beruhigt. Sein Blick war klar, der Wahnsinn in seinen Augen verschwunden. Er nahm eine Zigarre aus der Box auf Teddys Schreibtisch, zündete sie an und warf das Streichholz achtlos auf den Boden.
»Ich bring ihn zur Werft und sperr ihn in den Keller, bis John zurückkommt. Der ist auf der Nordseetour, aber in ein paar Tagen wieder zurück. Sobald er da ist, soll er Malone rausbringen. Weit raus. Über Gravesend hinaus.«
»Tot oder lebendig?«, fragte Teddy.
»Wen interessiert das schon?«, erwiderte Madden. »John hängt ihm ein Gewicht ans Bein und schmeißt ihn über Bord, und wenn er beim Reinschmeißen nicht schon tot ist, wird er’s bald danach sein.«
»Gott sei Dank, dass wir den endlich los sind«, sagte Teddy. »Der Dreckskerl hat mir fast den Schädel zertrümmert.«
»Ja, genau«, knurrte Billy. »Damals 1900 hat er alle reingelegt, aber das schafft er kein zweites Mal. Für ihn ist’s jetzt aus. Diesmal wird Sid Malone tatsächlich in der Themse verrotten.«
74
V or Willas Krankenhausfenster herrschte ohrenbetäubender Lärm. Männer schrien. Kamele brüllten, Motorräder knatterten vorbei. Eine Frau schimpfte laut auf jemanden ein. Automobile hupten schrill.
»Was um alles in der Welt ist denn da los?«, fragte Willa Schwester Anna, die gerade mit genervter Miene ins Zimmer gelaufen kam.
»Der sonntägliche Souk«, antwortete Schwester Anna und schloss das Fenster. »Mittwochs und sonntags ist Tiermarkt. Kamele, Pferde, Esel, Ziegen … Alle werden auf dem Weg zum Markt am Hospital vorbeigetrieben und dann noch mal, wenn sie mit ihren neuen Besitzern die Stadt wieder verlassen. Der Lärm, der Staub und der Dreck sind unbeschreiblich. Eine Störung für unsere Patienten und außerdem eine Gefahr für Leib und Leben. Gerade vorhin ist ein Kamel ausgebrochen und hat einen Gemüsekarren umgetrampelt. Zwei Leute
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