Die Wildrose
Besorgungen bei Hansen’s, kaufte ihre Kleider bei Guilford’s. Am Sonntag brachte sie ihre Mutter in den Park. In ihrem Leben gab es keinen Mann. Es steht vollkommen außer Zweifel, dass Gladys Bigelow keine deutschen Spione in verräucherten Pubs, nachts am Flussufer oder sonst wo getroffen hat. Also wie zum Teufel gelangten die Dokumente aus ihren in Flynns Hände?«
»Sie glauben, dass eine andere Person beteiligt war?«, fragte Sid. »Jemand, der Gladys die Dokumente abnahm und Flynn übergab?«
»So muss es wohl gewesen sein«, erwiderte Burgess.
»Also sind wir nur einen kleinen Schritt weiter als vor zehn Minuten. Wir haben zwar den Maulwurf, müssen aber jetzt einen weiteren Kurier finden. Und wir haben keine Ahnung, wer das sein könnte«, überlegte Joe laut.
»Ja, das befürchte ich«, antwortete Burgess. »Und zudem befürchte ich, dass wir keine Zeit verlieren dürfen herauszufinden, wer es ist. Bei unserem ersten Gespräch, Sid, sagten Sie mir, Ihr Freund solle am Freitag wieder zu seiner Nordseetour auslaufen – also morgen. Flynn liest zweifellos Zeitung. Ihm wird nicht entgehen, dass Gladys Bigelow tot ist. Ohne sie kommt er nicht an sein Material und hat somit keinen Grund mehr, in London zu bleiben. Entweder taucht er ab oder verlässt England ganz. Wir verlieren ihn, aber wichtiger noch: Wir kommen nicht an die Informationen, die wir aus ihm hätten herausquetschen können.« Burgess blickte Sid an. »Wir müssen handeln. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Ich bitte Sie um Ihre Hilfe. Ich befehle Ihnen nichts, sondern ich bitte Sie.«
Sid nickte. »Geben Sie mir ein paar Stunden. Ich lasse mir etwas einfallen. Geben Sie mir Zeit bis morgen früh.«
Burgess nickte. »Bis morgen früh.«
Es klopfte erneut. »Tut mir leid, Sie noch einmal zu stören, Sir George«, sagte Haines, »aber wir bekamen gerade eine dringende Nachricht für Mr Bristow. Von seiner Frau.«
»Worum geht’s?«, fragte Joe alarmiert.
Haines las von einem Zettel in seiner Hand ab. »Mrs Bristow bittet Sie, sofort ins Whitechapel Hospital zu kommen. Der Zustand Ihrer Schwägerin ist äußerst kritisch. Man befürchtet das Schlimmste.« Haines blickte auf und sah Joe an. »Es tut mir außerordentlich leid, Sir.«
93
W ie geht es ihr?«, fragte Joe Fiona, als Sid ihn in die Eingangshalle des Hospitals schob.
Fiona, deren Augen vom Weinen gerötet waren, schüttelte den Kopf.
»Es wird nicht mehr lange dauern«, sagte India. Auch sie hatte geweint. Die Schutzmaske der Quarantänestation hing lose um ihren Hals. »Im Lauf der letzten Stunden ist sie immer wieder bewusstlos geworden. Und sie hat nach dir gefragt, Joe.«
»Nach mir?«, fragte er verblüfft. »Warum?«
India holte tief Luft. »Sie meint, sie müsse dir etwas mitteilen – etwas im Zusammenhang mit Max von Brandt … und der Admiralität.«
» Was ?«, stieß Joe hervor. »Was weiß Jennie denn über Max von Brandt und die Admiralität?«
»Wir sind uns nicht sicher. Anfangs dachten die Schwestern und der Stationsarzt, sie rede im Delirium«, erklärte India. »Aber sie ließ nicht locker, und heute Nachmittag, als ich sie besuchen kam, ließ sie mich ihre Handtasche von zu Hause holen. Dort war ein Umschlag drin. Er enthält Durchschläge. Sie behauptet, sie stammten von Briefen, die Sir George Burgess an die Admiralität geschickt hat.«
»Mein Gott. Wie kam denn Jennie an die?«, fragte Joe.
»Ich weiß nicht. Sie hat es mir nicht gesagt. Die ganze Sache klingt verrückt, aber nach neulich Nacht, nach all den Dingen, die uns Sid über Max von Brandt erzählt hat, konnte ich nicht einfach darüber hinweggehen. Ich musste dich herholen.«
»Ich bin froh, dass du das getan hast, India. Kann ich zu ihr rein?«
»Normalerweise lässt das Hospital nur medizinisches Personal auf die Quarantänestation, aber ich habe Dr. Howell erklärt, dass Jennie wichtige Informationen für ein Mitglied der Regierung hat, und er hat dir zehn Minuten bewilligt. Reverend Wilcott ist auch bei ihr. Er ist nicht nur ihr Vater, sondern auch Pfarrer, und die haben besondere Vorrechte. Du musst dir das hier überziehen«, sagte sie und reichte Joe eine Maske. »Außerdem muss ich dir sagen, dass du ein großes Risiko eingehst. Wenn sich ein Erwachsener mit der Spanischen Grippe ansteckt, ist das oft tödlich.«
»Gehen wir«, sagte Joe, ohne zu zögern.
»Sid, Fiona, wir sind gleich wieder zurück«, sagte India.
»Bitte richte ihr unsere Grüße aus. Sag
Weitere Kostenlose Bücher