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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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ihr, James geht’s gut. Seine Cousins kümmern sich gut um ihn und …« Fiona konnte vor Kummer nicht mehr weitersprechen.
    Sid legte den Arm um sie. »Los, geht schon«, sagte er ruhig zu India und Joe. »Beeilt euch.«
    Sie nahmen den Fahrstuhl und standen kurz darauf vor der Quarantänestation im zweiten Stock. India band Joe die Maske über Mund und Nase, dann folgte er ihr durch die großen Doppeltüren.
    Nach ein paar Schritten blieb er plötzlich stehen, weil er die schiere Menge der Kranken und ihr Elend nicht fassen konnte. Er sah eine Frau, die Blut hustete, und eine andere, die verzweifelt nach Luft schnappte. Und einen bis aufs Skelett abgemagerten Mann, der im Fieberwahn stöhnte.
    »Wo ist sie?«, fragte er.
    »Hier entlang«, antwortete India. »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Ja, sicher.«
    »Dad?«, hörte er eine schwache Stimme fragen, als sie sich einem Bett in der Mitte des Saals näherten. »Dad, ist das Joe? Ich dachte, ich hätte ihn gehört. Bringst du ihn bitte zu mir?«
    India blieb stehen, Joe ebenfalls. Er sah Jennie an, erkannte sie jedoch kaum wieder. Sie war furchtbar abgemagert, und ihre Haut hatte einen beängstigenden Blaustich. Sie atmete schwer. Ihre Augen waren geöffnet, doch ihr Blick war glasig und unstet. Er blickte den Reverend an, und der Schmerz, den er in seinen Augen sah, war niederschmetternd.
    »Dad!«, sagte sie erneut, lauter diesmal.
    »Ich bin hier, Jennie«, antwortete Reverend Wilcott und nahm schnell ihre Hand.
    »Ich brauche meine Tasche«, sagte sie aufgeregt.
    »Sie ist hier, Jennie. Bitte beruhige dich. Du darfst dir keine Sorgen machen wegen …«
    »Bitte, Dad!«
    »Also gut … ja, ja … Sie ist hier, genau hier«, sagte Reverend Wilcott und zog eine Stoffhandtasche unter dem Bett hervor. »Was brauchst du?«
    »Da ist ein Umschlag. Gib ihn Joe, Dad. Versprich mir, dass du das tust. Gib ihm den Umschlag, und sag ihm, er soll sich das anschauen. Sag ihm …«
    »Jennie, Liebling, Joe ist hier. Er ist hergekommen. Er steht direkt hier.«
    Jennie versuchte, sich aufzusetzen, konnte es aber nicht. Ihr Vater nahm sie in die Arme und half ihr.
    »Jennie, worum geht es?«, fragte Joe liebevoll und nahm ihre Hand.
    Jennie hustete heftig. Blut tropfte aus ihrer Nase. Während ihr Vater es abwischte, sah er, welche Anstrengung es sie kostete zu sprechen, ja selbst zu atmen, und er wusste, sie kämpfte – nicht um ihr Leben, denn das war verloren, sondern um ein paar zusätzliche Minuten.
    »Ich muss … ich muss dir etwas sagen. 1914 kam Max von Brandt zu mir …«
    Also stimmt es, dachte Joe. Nein. Mein Gott, nein. Nicht du, Jennie.
    »… er sagte mir, er sei ein Doppelagent und brauche Hilfe, um gefälschte Papiere nach Deutschland zu schmuggeln und deutsche Dissidenten aus dem Land zu bringen. Er sagte mir, ich würde einen Umschlag erhalten …«
    »Von Gladys Bigelow«, unterbrach Joe sie.
    Jennie nickte. »Woher weißt du das?«
    »Gladys hat sich umgebracht. Wir glauben, dass sie erpresst wurde«, erklärte Joe. »Jennie, wir nehmen an, dass Max ebenfalls tot ist«, fügte er hinzu, in der Hoffnung, das wäre ein kleiner Trost für sie.
    Jennie schloss die Augen. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor sie fortfahren konnte.
    »Er sagte mir, ich sollte den Umschlag im Keller der Kirche in die Statue des St. Nicholas stecken und dass ein Mann kommen würde, um ihn abzuholen. Er sagte mir, ich würde ihm helfen, unschuldige Menschen zu retten. Also hab ich’s getan. Aber er hat gelogen. Letzte Woche habe ich den Umschlag geöffnet. Was ich schon vor Jahren hätte tun sollen.« Sie schob die Tasche Joe zu. »Er ist hier drin. Nimm ihn. Er ist ein Spion, und ich habe ihm geholfen. All die Jahre. Sie wissen Bescheid, Joe. Über Seamie. Über die Schiffe. Die Deutschen wissen Bescheid. Bitte hilf ihm … hilf Seamie …« Sie brach ab, schloss die Augen und sank gegen ihren Vater.
    Joe öffnete den Umschlag. Das Blut gefror ihm in den Adern, als er die Durchschläge aus Burgess’ Büro sah. Einen nach dem anderen hielt er ins Licht und las Informationen über Schiffe – ihre Namen, die Namen der Kapitäne, die Größe ihrer Mannschaft, ihre Position.
    »Jennie …«, begann er.
    »Nicht«, bat Reverend Wilcott weinend. »Sie hat nicht mehr die Kraft. Sehen Sie das nicht?«
    Aber Jennie schlug die Augen wieder auf und sah Joe an.
    »Wann solltest du den Umschlag in den Keller legen? An welchem Tag genau?«
    »Am

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