Die Wildrose
viel Zeit wie möglich in Wickersham Hall, nahm James immer mit dorthin, und manchmal wohnten auch die Zwillinge bei ihnen in Brambles. Gemeinsam mit Charlie und den Kindern erledigte sie die Arbeit, die der Gärtner nicht schaffte. Sie gruben um, pflanzten und beschnitten und bereiteten die Pflanzen und Bäume für den Winter vor. Sie setzten zweihundert Krokuszwiebeln. Dreihundert Tulpen. Fünfhundert Narzissen.
Der Herbst war gekommen und mit ihm die Hoffnung, dass der Krieg bald vorbei sein würde, weil die Amerikaner inzwischen aufseiten der Alliierten kämpften. Mit ihnen trat die Wende ein. Der Kaiser konnte nicht mehr davon ausgehen, noch lange durchzuhalten. Tag für Tag nahm Fionas Hoffnung zu – die Hoffnung auf ein schnelles Ende der Kämpfe und die Hoffnung auf die sichere und schnelle Rückkehr ihres Bruders Seamie.
Und dann kam der schreckliche Tag, an dem Joe unerwartet in Brambles auftauchte und Fiona sofort wusste, was geschehen war. Sie brauchte das Telegramm in seiner Hand nicht zu lesen, sie konnte es in seinen Augen sehen.
»Es tut mir leid, Fiona. Es tut mir so leid.«
Charlie war der Erste gewesen, der zu ihr trat, der Erste, der sie in die Arme nahm. »Ruhig, ruhig, Mum«, sagte er, als sie vor Schmerz und Trauer auf einen Stuhl sank und in verzweifelte Klagen ausbrach. Um sich. Und um James, der innerhalb weniger Wochen seine Eltern verloren hatte. »Ruhig, ruhig«, flüsterte Charlie ihr zu, genau wie sie ihm zugeflüstert hatte, als er nicht essen und nicht schlafen konnte. Wenn die Erinnerungen ihn übermannten.
Auch Sid hatte getrauert. Zutiefst. Der Verlust seines Bruders hatte seine Entscheidung, nach Amerika zurückzukehren, noch beschleunigt. An einen Ort, der keine Erinnerung an Seamie barg. India hatte eine andere Ärztin angestellt, die ihre Pflichten übernahm: Dr. Reade. Sie übergab das Hospital in ihre Obhut, dann waren sie, Sid und die Kinder zuerst nach Southampton und von dort aus nach Amerika weitergereist. Sie waren sicher in New York angekommen und schließlich in Kalifornien, in Point Reyes, an dem Ort, den sie so sehr liebten. Fiona vermisste sie schrecklich, aber sie verstand ihren Wunsch, dort ihr Leben weiterzuführen.
Ein paar Wochen später trafen Seamies Habseligkeiten ein. Ihn selbst konnte sie nicht beerdigen – es gab keine Leiche –, also stellte sie auf dem Familiengrab in Whitechapel einen weiteren Stein neben den von Jennie, und dann pflanzten Charlie und sie gelbe Rosen zwischen die beiden Gräber. Gelb zum Gedenken. Nie würde sie ihren geliebten Bruder vergessen. Er war jetzt bei ihren Eltern, bei ihrer kleinen Schwester Eileen und bei seiner Frau Jennie.
Wann immer sie zu dem Familiengrab ging, bat sie ihre Eltern, Seamie, die arme, ruhelose Seele, zu umarmen. Glück war ihm nicht beschieden gewesen. Einmal, vor Jahren, schien es, als hätte er wenigstens ein bisschen davon gefunden, als er Jennie heiratete. Aber selbst damals umgab ihn eine gewisse Trauer und Ruhelosigkeit. Fiona wusste, dass er Willa Alden bei der Beerdigung ihres Vaters wiedergesehen hatte, und sie vermutete, dass er trotz der Heirat mit Jennie nie über Willa hinweggekommen war. Sie verstand den Schmerz, der davon herrührte. Beinahe hätte sie einmal das Gleiche getan. Vor langer Zeit in New York, als sie dachte, Joe für immer verloren zu haben, hätte sie fast einen anderen Mann geheiratet, den sie zu lieben glaubte – William McClane. Wenn sie das getan hätte, hätte sie die Hoffnung auf wahre Liebe für immer verloren. Sie ertrug es kaum, sich dies vorzustellen – ein Leben ohne Joe –, und das Herz tat ihr weh bei dem Gedanken an ihren Bruder, dem ein Leben mit Willa, seiner wahren Liebe, nicht vergönnt gewesen war.
Fiona musterte jetzt den Christbaum. James hatte mindestens acht Männer, inklusive Joe, darum versammelt und reichte ihnen immer noch Schmuck und Kugeln. Es schien den Patienten gutzutun, einen Baum in ihrer Mitte zu haben, Platten aufs Grammofon zu legen und Glühwein und heiße Schokolade zu trinken. Für die meisten war es wieder das erste richtige Weihnachten nach vier Jahren.
Fiona freute sich über die Aufmunterung, die die Feiertage für die Veteranen und ihre eigene Familie brachten. Anfang des Monats hatte Joe den zermürbenden Wahlkampf um seinen Sitz für Hackney gewonnen. Der Premierminister musste abtreten, aber Joe kehrte zurück. Tatsächlich war er von David Lloyd George, dem neuen Premier, zum Arbeitsminister ernannt worden.
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