Die Wildrose
hatte.
»Ich denke, ich habe Ihre Zeit nun genügend in Anspruch genommen. Nochmals vielen Dank, dass Sie zu den Kindern gesprochen und mir beim Einkaufen geholfen haben.«
Jennie griff nach ihrem Korb, aber Seamie gab ihn nicht her. »Seien Sie nicht albern. Er ist viel zu schwer. Ich trage ihn für Sie.«
»Nein, wirklich. Das wäre zu viel verlangt.«
»Ich habe es doch angeboten«, erwiderte Seamie.
Zwanzig Minuten später erreichten sie das Pfarrhaus. Reverend Wilcott war bereits daheim und öffnete die Tür.
»Wie schön, Sie wiederzusehen, Mr Finnegan! Sind Sie gekommen, um mit uns Tee zu trinken?«
»Nein, Sir. Ich habe Jen… Miss Wilcott beim Tragen der Einkäufe geholfen«, antwortete Seamie.
»Unsinn! Sie bleiben und essen einen Happen mit uns. Es ist genug da. Jennie hat schon den ganzen Tag einen Eintopf auf dem Herd köcheln.«
»Ja, bleiben Sie doch«, sagte Jennie. »Das ist das Mindeste, was ich als Gegenleistung für Sie tun kann.«
Seamie wusste, dass er längst in der Royal Geographical Society sein sollte. Bei einem Vortrag. Und einem Dinner. Und dem endlosen Trinkgelage, das unweigerlich darauf folgen würde. »Na schön. Ja. Ich bleibe gern«, sagte er.
Jennie ging durch den kurzen engen Gang voran in die hell erleuchtete Küche. Der Reverend setzte sich auf einen Stuhl am Herd, und Seamie stellte den schweren Korb unter einem Fenster ab und starrte verlegen in den kleinen Hof hinaus.
»Unser Garten«, sagte Jennie lächelnd. »Im Sommer sieht er hübscher aus.« Sie nahm seine Jacke, bat ihn, neben ihrem Vater Platz zu nehmen, und reichte ihm eine Tasse Tee.
Seamie sah sich in der kleinen Küche um. Sie war ordentlich und behaglich. Weiße Spitzenvorhänge hingen an den Fenstern, auf dem Boden lagen bunte Flickenteppiche. Auf dem Tisch stand ein kleiner Tontopf mit purpurfarbenen Krokussen. Das Feuer verströmte eine angenehme Wärme, und was immer in Jennies Backofen war, duftete köstlich.
»Hast du Petersilie reingetan, Dad?«, fragte Jennie und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Hm? Was meinst du?«, erwiderte der Reverend und nahm ihre Hand.
»Hast du Petersilie in den Eintopf gegeben? Das solltest du doch.«
»Tut mir leid, meine Liebe. Das hab ich vergessen.«
»Ach, du«, tadelte sie ihn liebevoll.
Er tätschelte ihre Hand und bat sie, sich neben ihn zu setzen. »Es wird herrlich schmecken, ob mit oder ohne Petersilie«, sagte er. Und zu Seamie gewandt: »Jennie ist eine großartige Köchin.«
»Ich bin schon sehr gespannt«, antwortete Seamie. »Als Junggeselle komme ich nicht oft in den Genuss echter Hausmannskost.«
»Wie waren denn die Kinder heute?«, fragte der Reverend Jennie.
»Einfach großartig!«, antwortete sie. »Mr Finnegan ist gekommen, um von seinen Abenteuern zu berichten, Dad. Sie waren total begeistert!«
»Das haben Sie getan, mein Junge? Wirklich sehr freundlich von Ihnen.«
»Wie war’s bei deinen Besuchen? So schlimm wie befürchtet?«
Der Reverend schüttelte den Kopf. »Gott sei Dank war die Cholera nur ein Verdacht – ich bete zu Gott, dass es so bleibt. Die Cholera verbreitet sich nämlich wie ein Lauffeuer in den Armenvierteln, Mr Finnegan. Weil die Leute so dicht gedrängt zusammenleben natürlich. Zu viele Menschen auf zu wenig Raum. Sie teilen sich Zimmer, Betten und Toiletten. Wasserleitungen verlaufen zu nah an Abwasserkanälen. Dazu die schlechte Luft. Es braucht sich nur eine Person zu infizieren, und im nächsten Moment ist die ganze Straße erkrankt. Aber zumindest für heute sind wir verschont geblieben.«
Jennie drückte seine Hand und ging dann zum Backofen.
»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«, fragte Seamie.
»Nein, danke. Ich komme schon zurecht«, erwiderte Jennie.
»Ich bin nicht schlecht als Hilfskoch. Ich habe an Bord der Discovery gekocht, wissen Sie.«
»Wirklich?«
»Ja. Für die Schlittenhunde.«
Jennie kniff die Augen zusammen. »Soll das etwa eine Anspielung sein, Mr Finnegan?«
»Was? Nein, nein! Ich meinte bloß, dass ich mich in einer Küche durchaus zurechtfinde. Es war eine der wichtigsten Aufgaben auf der ganzen Expedition. Wenn die Hunde nicht gut genährt und gesund gewesen wären, als wir an Land gingen, wären wir nirgendwo hingekommen.«
»Nun. Ich brauche Ihre Hilfe nicht, aber vielleicht können Sie meinen Vater auf seinen Besuchen begleiten. Und die Nasen seiner Gemeindemitglieder befühlen, um zu prüfen, ob sie kalt und feucht sind.«
Der Reverend lachte laut auf.
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