Die Wildrose
Schatz«, sagte Max. »Ein Moment wie dieser verdient etwas Besseres – Champagner.«
»Ach Peter! Champagner! Ich liebe Champagner. Aber das sollten wir nicht. Der ist doch furchtbar teuer.«
»Unsinn. Für mein Mädchen ist mir nichts zu teuer«, erwiderte Max und tätschelte ihre Hand.
Er stand auf, ging zur Bar und bestellte eine Flasche billige Plörre. Als er wartete, bis der Wirt sie brachte, beobachtete er Gladys in dem Spiegel über der Bar. Sie zupfte an ihrem Haar herum. Ihre Wangen waren gerötet, und sie lächelte. Es war fast zu einfach.
Heute führte er sie zum fünften Mal aus. Zweimal waren sie etwas trinken gegangen, einmal hatten sie einen Spaziergang in Greenwich gemacht, einmal ein Varieté besucht, und jetzt saßen sie wieder im gleichen Pub, in das er sie nach dem fingierten Zusammenstoß geführt hatte.
Jedes Mal spielte er den perfekten Gentleman. Fürsorglich, höflich und großzügig. Er hatte ihre Hand genommen, um ihr aus dem Bus zu helfen, sich nach ihrer Mutter erkundigt und von seiner Arbeit, seiner Kirche und seinen Eltern oben in Bradford erzählt. Er achtete darauf, gelegentlich für ein paar Tage zu verschwinden, wie man es von einem Seemann, der auf der Route zwischen Hull und Brighton pendelte, erwarten würde.
»Da wären wir!«, sagte er, als er den »Champagner« an den Tisch zurückbrachte.
Er goss zwei Gläser ein und brachte einen Toast aus.
Als er sich zu ihr beugte, blieb ihr Blick an seinem Hals haften.
»Mein Gott! Was ist dir passiert?«, fragte sie.
»Ach, das ist nichts«, antwortete Max.
Gladys steckte einen Finger in seinen Kragen und zog ihn vom Hals weg. »Das sieht ja schrecklich aus!«
Das wusste Max. Es war ein tiefer, dunkelroter Kratzer.
»Ich habe einen Koffer für meinen Kapitän getragen«, erklärte er. »Der hatte eine scharfe Kante, die mir die Haut abgeschürft hat.«
»Armer Junge. Lass es mich wieder heil machen«, sagte sie ungewohnt kokett.
Sie küsste eine Fingerspitze, berührte seinen Hals damit und kicherte dann hinter vorgehaltener Hand. Sie hielt immer die Hand vor den Mund, wenn sie lachte, weil sie sich wegen ihrer großen, schiefen Zähne schämte.
Er ergriff ihre andere Hand und küsste sie. »Schon viel besser. Danke, mein Liebling.«
Gladys wurde tiefrot, was sie nicht hübscher machte. »Ungezogener Junge«, sagte sie und kicherte aufs Neue. »Dass du mir jetzt bloß nicht auf falsche Gedanken kommst.«
Max erstarrte innerlich. Es war grauenhaft, diesen traurigen, reizlosen Trampel von einer Frau mit ihren dicken Strümpfen und klobigen Schuhen zu beobachten, wie sie versuchte, zu flirten und lustig zu sein. Es war grausam, was er tat, und plötzlich wollte er das Possenspiel beenden, sich bei ihr entschuldigen, sie in eine Droschke setzen und nach Hause schicken. Aber das tat er nicht. Es gab Zeiten, in denen er hasste, was er tat – wenn er sich selbst hasste –, aber er würde sich genauso wenig vor seiner Pflicht drücken, wie sich sein Vater 1870 auf dem Schlachtfeld von Metz gedrückt hatte. Seit Generationen stand die Pflicht immer an erster Stelle bei den von Brandts, so auch für ihn.
Er schloss seinen Kragen wieder, zuckte zusammen, als der Stoff an der Wunde rieb, und täuschte Interesse an Gladys’ Geschnatter vor. Was den Kratzer betraf, hatte er sie genauso belogen wie in jeder anderen Hinsicht auch. Es war kein Koffer, der ihn verursacht hatte, auch nicht die Kratzer auf seinem Rücken. Sie stammten von seiner Geliebten Maud Selwyn-Jones.
Während Gladys über das Abendessen schwafelte, das sie ihm am Sonntag kochen wollte, erinnerte sich Max an die Liebesnächte mit Maud.
Das erste Mal in seinem Zimmer auf Kedleston hatten sie einen Tisch umgestoßen und eine Vase zerbrochen.
Das zweite Mal in Wickersham Hall, ihrem Landsitz in den Cotswolds, hatte er im Wald mit ihr geschlafen. Vielleicht war es aber auch umgekehrt gewesen. Er hatte sich zu ihr hinübergebeugt, als sie anhielten, um die Pferde grasen zu lassen, und als Nächstes waren sie zu Boden gesunken. Dabei behielt sie die ganze Zeit den Reithut auf und die Seidenstrümpfe an. Ihr aufreizendes Lächeln, das unter dem schwarzen Schleier kaum sichtbar war, hatte ihn in den Wahnsinn getrieben vor Begierde. Ganz sicher hatten sie den Pferden Angst eingejagt.
Beim dritten Mal saßen sie nach der Oper in der Kutsche und fuhren zu ihm nach Hause. Kurz nachdem der Kutscher angefahren war, hatte sie die Schuhe abgestreift, dann langsam und
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