Die Wildrose
kennengelernt und sich leidenschaftlich in ihn verliebt.
An jenem Nachmittag in der Scheune am Cam-Fluss bat sie ihn, mit ihr zu schlafen, weil sie sich keine Sorgen um irgendwelche Folgen machen musste. Sie wusste auch, wenn sie ihm die Wahrheit über die Narbe erzählte, würde er sie verlassen, wie alle anderen vor ihm. Also sagte sie ihm nichts.
Ich sage es ihm später, hatte sie Gott insgeheim versprochen, bevor sie sich ihm hingab, aber lass mich ihn zuerst haben. Lass mich die Liebe erleben, nur dieses eine Mal, dann werde ich dich nie mehr um etwas bitten.
Und als es vorbei war, als sie glücklich neben ihm lag, seinen Duft auf ihrer Haut genoss, seinen Geschmack auf ihren Lippen, erinnerte sie sich an ihr Versprechen und suchte nach Worten, wie sie es ihm beibringen sollte, als er ihr plötzlich aus heiterem Himmel seine Liebe gestand. Und dann konnte sie es ihm nicht mehr sagen, obwohl es ihre Pflicht gewesen wäre. Weil sie es nicht ertragen hätte, ihn zu verlieren.
Also sagte sie nichts.
Nicht während des Ausflugs zum Cam-Fluss und auch nicht, als er sie gerade zuvor um ihre Hand bat. Sie hatte es versucht. Ehrlich. Sie hatte die Worte fast herausbekommen, aber dann doch versagt.
»Ich möchte ein Leben mit dir. Ein Zuhause. Kinder. Eine ganze Kinderschar. Drei oder vier. Sechs. Zehn. Ich will dich zu meiner Frau.« Bei diesen Worten hatte der Mut sie verlassen, und sie hatte eingewilligt. Und ihn in dem Glauben gelassen, sie könnte ihm die Kinder schenken, die er sich wünschte. Sie hatte ihn angelogen. Nicht damit, was sie sagte, sondern damit, was sie verschwieg.
Immer wieder hatte sie sich eingeredet, dass sie ihm alles gestehen würde. Vor Wochen schon auf dem Rückweg nach Cambridge. Dann in Tante Eddies Haus und im Zug, auf der Rückreise nach London. Aber sie hatte es nicht getan. Jeden Morgen nach ihrer Reise, gleich nach dem Aufwachen, schwor sie sich, ihm heute die Wahrheit zu sagen, egal, was es sie kosten würde. Und jeden Tag machte er es ihr schwerer, es über die Lippen zu bringen.
Und dann stellte sie fest, dass ihre Tage ausblieben. Anfangs hatte sie das nicht beunruhigt, weil sie immer ein wenig unregelmäßig kamen. Aber dann keimte Hoffnung auf. War es möglich? Was, wenn Dr. Addison sich getäuscht hatte? Wenn sie doch ein Kind bekommen konnte?
Entgegen aller Hoffnung war sie zu Harriet Hatcher gegangen. Harriet untersuchte sie und sprach dann die Worte aus, die zu hören sie niemals erwartet hätte: »Sie sind schwanger.« Natürlich wusste Harriet als ihre Ärztin von ihren Verletzungen und warnte sie, sich allzu große Hoffnungen zu machen. »Sie sind zwar schwanger, und das ist wundervoll, aber das ändert nichts an der Schädigung Ihrer Fortpflanzungsorgane. Wir wissen nicht, ob Sie ein Kind austragen können.«
Seamie hatte nicht gezögert, das Richtige zu tun, als sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählte. Obwohl er sich während der letzten Wochen hin und her gerissen fühlte, wollte er jetzt eine Familie gründen. Und Kinder haben. Viele Kinder. Warum sollte er eine Frau heiraten, die ihm diesen Wunsch nicht erfüllen konnte. Das würde kein Mann tun. Und ein junger, gut aussehender, berühmter Mann wie er wohl am allerwenigsten. Der jede Frau haben konnte. Der schon viele Frauen gehabt hatte, einschließlich der umwerfenden Willa Alden.
Jennie wusste, wer Willa Alden war. Die Zeitschriften veröffentlichten manchmal ihre Fotos. Immer wurde erwähnt, dass sie und Seamie vor Jahren am Kilimandscharo einen Rekord aufgestellt hätten. Dass sie dort bei einem schrecklichen Unfall ein Bein verloren habe und nicht nach England zurückgekehrt, sondern nach Nepal und Tibet weitergezogen sei.
Einmal hatte sie ihn nach Willa gefragt. Ob er noch Gefühle für sie habe. Er versicherte ihr, dass dem nicht so sei, dass die Geschichte mit Willa der Vergangenheit angehöre. Aber sein Gesicht veränderte sich, als er über sie sprach, und der Ausdruck in seinen Augen zeugte nicht von Gleichgültigkeit. Er war nicht über sie hinweg. Er liebte sie immer noch. Dessen war Jennie sich sicher.
Willa war wie er, sie selbst aber ganz und gar nicht. Und sie fragte sich jetzt, wie schon so oft im Lauf der vergangenen Wochen, was er eigentlich an ihr fand. Sie war weder wagemutig noch kühn und hatte nicht einmal Westlondon erkundet, vom Südpol ganz zu schweigen. Sie konnte ihm nicht bieten, was Willa ihm bot – die Leidenschaft für Entdeckungen, hohe Risikobereitschaft und
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