Die Witwen von Paradise Bay - Roman
überflüssig zu sein, möchte ich sie am liebsten frustriert anbrüllen. Wenn Prissy mein Leben führen müsste, würde sie dem Schicksal für Howie danken. Affäre hin oder her.
Doch gegen mein Angebot, mit zum Confederation Building zu kommen, protestiert sie schnaubend und erzählt mir daraufhin, wie unangenehm ihr Besuch in der Apotheke verlaufen sei. Ich wusste, dass Howie in der Stadt gesehen wurde, und auch, dass alle über Prissy reden und sich fragen, warum sie gelogen hat. Manche haben sogar behauptet, sie hätten von Anfang an Bescheid gewusst – vermutlich weil sie nicht zugeben wollen, dass man sie aufs Glatteis geführt hat. Ich höre vieles, wenn ich Kaffee einschütte oder die Rechnung bringe, aber ich habe es nicht übers Herz gebracht, es Prissy zu erzählen. Bei allem, was momentan in ihrem Leben passiert, hatte sie Howies »Tod« wohl ganz vergessen. Angeblich schämt sie sich in Grund und Boden und will sich nie wieder in der Stadt blicken lassen, doch sie kommt Tag für Tag hierher, und Lawlor’s ist womöglich der öffentlichste Ort in ganz Paradise Bay. Ich habe versucht, sie zu beruhigen. Bald wird sich ein anderes Thema finden, habe ich gesagt. Das Getratsche über Ches hat auch irgendwann aufgehört.
Georgia habe ich am Ende diesen Termin lieber verschwiegen, denn sie weiß nicht einmal von meinem ersten Treffen mit Roger Parsons. Das Risiko ist mir zu groß. Wenn sie auch nur annimmt, dass Fred die Hände im Spiel haben könnte, wird sie womöglich jede Förderung glattweg ablehnen oder sich weigern, bei unserem Projekt mitzumachen. Ich begreife nicht, wieso es Prissy und Georgia nicht ertragen, wenn ihnen jemand helfen will. Ich wünschte, ich könnte mir den Luxus leisten, auf dem Gebiet wählerisch zu sein.
Ich war seit vielen Jahren nicht mehr im Confederation Building, das letzte Mal bei einem Schulausflug in der achten Klasse. Prissy und ich haben auf der Galerie gesessen, einer Debatte über Schifffahrt zugehört und jedes Mal gekichert, wenn ein Politiker vom anderen Ufer gesprochen hat.
Doch als ich jetzt die offene Lobby betrete, schüchtert mich die Umgebung augenblicklich ein. Frauen und Männer in Anzügen eilen zu Terminen, ordnen Papiere, telefonieren mit ihren Handys und sehen dabei ständig auf die Uhr. Jedes »Verzeihung«, mit dem ich gebeten werde, aus dem Weg zu gehen, ist ein Angriff auf meine Wichtigkeit, und mit jedem zögernden Schritt in Richtung des Informationsschalters schwindet mein Selbstvertrauen. Selten war mir so bewusst, dass meine Schuhe Salzflecken haben und an meinem Mantel zwei Knöpfe fehlen. Es kostet mich viel Überwindung, nicht nach Paradise Bay zurückzueilen und mir die Selbsthilfegruppe aus dem Kopf zu schlagen.
Als ich in Roger Parsons’ Büro eintreffe, bin ich längst überzeugt, dass die Regierung kein Geld bewilligt hat. Zur Verteidigung wiederhole ich im Geiste die Argumente für unsere Witwengruppe und zitiere die wesentlichen Stellen, die Dr. Dunn in unseren Antrag geschrieben hat:
Statistisch gesehen mögen junge Witwen wenig signifikant sein, aber die Gesellschaft kann es sich nicht länger leisten, diese soziale Gruppe zu ignorieren. Trauer ist eine notwendige und natürliche Phase des seelischen Heilungsprozesses, aber gerade bei jungen Witwen muss die Trauer häufig warten, da ein großer Druck auf ihnen lastet. Mit einem Mal sind sie alleinerziehende Mutter, einzige Ernährerin, Pflegekraft für hilfsbedürftige Eltern, und sie müssen Vorbild sein. Diese Gruppe finanziell zu unterstützen, bringt der Gesellschaft langfristigen Nutzen und erlaubt es Frauen und Familien in Notlagen, sich weiterhin als produktive Mitglieder unserer Gemeinschaft zu erweisen.
Natürlich ist das vergebliche Liebesmüh. Als ob ich irgendetwas davon sagen würde, nachdem ich die schlechte Nachricht bekommen habe. Ich werde Roger Parsons für seine Zeit danken und mich auf den Heimweg machen. Erstaunlicherweise sitzt Dr. Dunn schon im Sitzungszimmer und spricht mit einem jungen Mann mit eckiger Brille und Laptop vor sich. Dr. Dunn lächelt mir zu und winkt mich mit weit ausholender Geste hinein. Ich bleibe auf der Schwelle stehen. Ich bin am richtigen Ort, aber unsicher, ob ich eintreten soll.
»Hallo, alle miteinander«, sagt Roger Parsons enthusiastisch bei seinem großen Auftritt. Er lässt einen dicken Ordner mit lautem Plumps auf den Konferenztisch fallen. »Na, dann … Glückwunsch, Lottie.«
»Verzeihung?« Mein Herz schlägt
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