Die Woelfin
...
*
Vielleicht würde es ein Weg ohne Wiederkehr werden. Als ich den Gasthof der Toten verließ, hatte ich nur verschwommene Vorstellungen, was mich erwarten würde. Dafür war ich um so entschlossener, jedes erdenkliche Risiko auf mich zu nehmen.
Das war ich ihm schuldig!
Für keinen anderen hätte ich auch nur Vergleichbares getan, aber Landru hatte ich auch mehr zu verdanken als jedem anderen, und seit Monaten schon rätselte ich, wie eine Person mit seiner Machtfülle einfach so mir nichts, dir nichts von der Bildfläche verschwinden konnte.
Als hätte ihn der Erdboden verschluckt .
Vielleicht ist er heimgekehrt, redete ich mir ein. Er sprach oft von der Heimstatt, in der noch andere Hüter schlafen. Hüter, die schon vor ihm mit dem Lilienkelch die Welt bereisten und sich irgendwann müde nach getaner Arbeit wieder niederlegten, damit der nächste das Werk fortsetzen könne ...
Wie viele Jahrtausende der Kelch von Hüterhand zu Hüterhand ging, wußte ich nicht. Aber ich wußte, daß diese Kette vor rund dreihundert Jahren unterbrochen worden war - während Landrus Amtszeit.
Damals war der Lilienkelch gestohlen worden. Die Alte Rasse war seither ohne Nachwuchs gewesen und sowohl von wissenden Menschen, als auch von Unglücken dezimiert worden. Am schlimmsten aber hatte Lilith Eden unter ihnen gewütet, jene Halbvampirin, die ich verdächtigte, daß sie die Schuld an Landrus persönlichem Schicksal trug.
Mit ihr hatte der Niedergang der Vampire ein rasendes Tempo erhalten. Und es war bezeichnend, daß sie, so hatte Chiyoda mir eröffnet, mit Landru verschwunden war. Offenbar zum selben Zeitpunkt, offenbar genauso mysteriös und spurlos! Hatten sie einander gegenseitig ausgemerzt?
Denkbar schien es. Aber noch schob ich diese Möglichkeit weit von mir.
Vielleicht würde der Ararat mir Gewißheit geben.
Als Wölfin erklomm ich in jener Nacht seinen Gipfel, suchte und fand den Weg, den Landru mir nur vage beschrieben hatte - und drang ein in das Reich, das kein Wesen meines Geblüts je betreten hatte.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, wie teuer ich meinen Mut - oder war es doch nur Dummheit und eitle Selbstüberschät-zung? - bezahlen würde
*
Der Schacht, der hinab ins Herz des Dunklen Domes führte, war für Geschöpfe gemacht, die des Fliegens mächtig waren. Doch ich besaß keine Flügel, keine ledrigen Schwingen, die mich in die Tiefe getragen hätten.
Vermutlich hätte ich bereits am Eingang des fast senkrecht nach unten führenden Kamins umkehren müssen - wäre er noch im ursprünglichen Zustand gewesen.
Dennoch schaffte ich den Abstieg, denn der ehemals glatte, enge Schacht hatte sich geweitet. Verheerende Kräfte, deren Ursache ich nicht kannte, hatten zu Einstürzen, aber auch zu Felsbewegungen geführt, die den ursprünglichen Stollen dramatisch - und mir zum Vorteil - verändert hatten!
Meine klauenbewehrten Pfoten fanden Halt, wo vorher keiner möglich gewesen war.
Aber mit jedem Meter, den ich abwärts stieg, wurde ich nervöser, nicht zuversichtlicher!
Es war weder dunkel, noch hell hier unten. Woher das diffuse Licht kam, konnte ich nicht feststellen; es schien, als wäre die Luft selbst illuminiert. Auf jeden Fall genügte es meinen Raubtieraugen, genug zu erkennen.
Die Zerstörungen, die den Dunklen Dom heimgesucht hatten, versetzten meinem Herz Stich um Stich, und so schwand selbst die leiseste Hoffnung, Landru hier lebendig wiederzufinden, noch bevor ich überhaupt den Boden der Heimstatt erreichte, wo einmal der Altar mit dem Lilienkelch gestanden haben mußte.
Überall lagen Felsbrocken, als hätten Riesen damit gewürfelt. Nichts hier schien mehr heil. Von dem Altar entdeckte ich überhaupt keine Spur, und so setzte sich mich erst einmal auf einen der Blöcke, die aus der Decke gebrochen waren, um das Chaos, das ganze Ausmaß der Zerstörung zu überschauen.
Von irgendwo sickerte schwacher Glanz aus Adern, die die Reste der steinernen Kuppel wie den von Wunden übersäten Leichnam einer verendeten Kreatur durchwoben. Selbst in den herabgestürzten Brocken waren sie sichtbar; auch dort muteten diese zerfetzten Stränge an, als hätten sie einmal Lebendiges durchzogen. Als wäre all dies hier nicht immer nicht nur aus Stein gewesen .
Plötzlich fror mich unter meinem Fell. Die Eishölle des Gipfels hatte mir nicht halb so zugesetzt wie die Kälte, die dieser Schauplatz sinnlos anmutender Zerstörung mir einflößte.
Ich mußte den Verstand verloren haben,
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