Die Woelfin
»Vielleicht verwechselst du mich ganz einfach. Mein Name ist Hector Landers, daran gibt es nicht den ge-ringsten Zweifel!«
Ihr Auflachen verunsicherte Landers nur kurz. Er hatte genügend Zeit gehabt, abzuwägen, wie er diese Situation klären konnte.
Schon einmal waren er und Lilith von einem bizarren Wesen angegriffen worden - von einer hübschen jungen Frau, die sich warnungslos in ein amorphes Ding verwandelt hatte. Sie war ebenso vorgegangen wie diese Wolfsfrau hier, hatte vorgegeben, ihn zu kennen - um sich dann auf ihn zu stürzen. Nur mit knapper Not hatte er den Angriff überstanden. 5
Nicht erst seit diesem Vorfall hatte Landers es vorgezogen, niemandem zu trauen. Und wenn die Wolfsfrau ihn tatsächlich kannte, würde er die Wahrheit noch früh genug aus ihr herauspressen. Wenn er erst in einer günstigeren Position war - und sie seine wehrlose Gefangene.
Seine Haltung war drohend, als er auf sie zutrat.
Mit dem Blick seiner dunklen Augen wollte er sie bannen, wie es ihm in den vergangenen Tagen schon mehrfach mit Menschen gelungen war. Wenn er ihren Geist erst geknechtet hatte, würde ihm die Wolfsfrau widerspruchslos zu Diensten sein.
»Was hast du vor?« fauchte sie.
Seine Hände streckten sich nach ihr, berührten das weiche Fell ihrer Arme.
»Komm zu mir«, knurrte er, aufmerksam darauf achtend, ob etwas in ihrem Blick sich veränderte. Da - ein kurzes Flackern! Ein erstes Anzeichen dafür, daß seine besondere Macht bei ihr verfing?
Er faßte sie fester, zog sie an sich heran.
Die Wölfin versteifte in seinem Griff, bleckte die Fänge, fauchte wild - - und befreite sich! Zwei, drei Schritte wich sie zurück, dann duckte sie sich wie zum Sprung.
»Treib es nicht zu weit, Landru«, warnte sie ihn, grollend aus tiefer Kehle. »Ich weiß nicht, was mit dir geschehen ist, aber es gefällt mir immer weniger!«
Etwas verdrängte Landers' bewußten Willen, übernahm die Kontrolle über seinen Leib und sein Tun. Wie im Reflex verwandelte er sich. In eine tödliche Waffe.
Er brüllte auf - anders, gewaltiger, ja animalischer als die Wölfin. Dann setzte er auf sie zu, packte die Wolfsfrau, schleuderte sie zu Boden und warf sich über sie!
*
Weder Nona noch Landru, der immer noch an seinem früheren Tarnnamen Hector Landers festhielt, ahnten etwas von den Augen, die in diesen Momenten auf sie gerichtet waren. Augen voller Geduld.
Augen, die - ohne bemerkt zu werden - im selben Baum gelauert hatten wie die Wolfsfrau.
Der Beobachter hegte nicht die leiseste Absicht, drohendes Blutvergießen zu verhindern. Im Gegenteil. Die Stärke der Kontrahenten interessierte ihn. Wölfin und Vampir ...
*
Nonas Ahnung hatte nicht getrogen: Dies war ein anderer Landru als der, den sie kannte und seit Jahrhunderten verehrte! Ein völlig Fremder .
Spätestens als sich seine dolchspitzen Klauen in ihren Rücken bohrten, konnte sie sich dieser Einsicht nicht mehr länger verschließen.
Sie schrie auf. Weniger vor Schmerz als vor seelischer Qual!
Was war passiert? Warum erkannte er sie nicht wieder? Hing es damit zusammen, daß er monatelang . verschwunden gewesen war - aus jeder Realität?
Etwa zehn Wochen war es her, daß sie diese Behauptung aus dem Mund Chiyodas gehört hatte.
»Ich sehe ihn nicht mehr«, hatte der greise Werwolf, der nach Belieben zwischen den Wirklichkeiten wechselte, ihr bei einem Besuch in der Mandschurei eröffnet.
»Ist er . tot?« hatte sie um ihre Fassung gerungen.
»Ich fürchte, nicht einmal das kann ich dir sagen. Er ist einfach nicht mehr wahrnehmbar. Ich sehe ihn in keiner der möglichen Zu-künfte, die ich zu betreten vermag. Ich fürchte, du mußt dich damit abfinden, daß dein Liebhaber nicht mehr existiert .«
»Das glaube ich nicht!«
»Vielleicht hat ihn dieselbe Seuche hingerafft, die er den Kelchkindern brachte.«
»Nein ...!«
Auf Chiyodas bedauernde Geste hin hatte Nona ihn gebeten, Ausschau nach Lilith Eden, der Erzfeindin der Alten Rasse, zu halten.
Der greise Mann, der den Wolf in sich schon vor langer Zeit besiegt hatte, hatte ihre Bitte erfüllt .
... und verblüfft eingestehen müssen, daß auch Lilith Eden in keiner Realität, in keiner Zukunft, in die er Einblick hatte, mehr eine Rolle spielte. Auch dieses Zwitterwesen, das zu Landrus gefährlichster Gegnerin erwachsen war, schien nicht mehr zu existieren. Nirgends auf der Welt .
Daraufhin hatte Nona einen Entschluß gefaßt, der schon eine geraume Weile in ihr gereift war.
Einen Entschluß, den
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