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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Menschen, sind Krieg undMord eine Frage, eine Frage ohne Antwort, denn wenn wir in die Nacht hinausrufen, antwortet niemand. Außerdem zieht eines das andere nach sich: Ich habe im Rahmen des normalen Dienstes begonnen und dann, unter dem Druck der Ereignisse schließlich, diesen Rahmen überschritten; aber all das hängt zusammen, ist eng miteinander verknüpft: Ob ich ohne den Krieg bis zu diesem Äußersten gegangen wäre, kann man nicht wissen. Vielleicht, vielleicht aber auch nicht, vielleicht hätte ich eine andere Lösung gefunden. Wir wissen es nicht. Meister Eckhart hat geschrieben, dass ein Engel in der Hölle auf seiner eigenen kleinen Paradieswolke schwebt. Mir war immer klar, dass auch die Umkehrung gilt, dass ein Dämon im Paradies auf seiner eigenen kleinen Höllenwolke schweben würde. Ich halte mich allerdings nicht für einen Dämon. Für das, was ich getan habe, gab es immer Gründe, ob gute oder schlechte, weiß ich nicht, auf jeden Fall aber menschliche Gründe. Die, die töten, sind Menschen wie die, die getötet werden, das ist die schreckliche Wahrheit. Ihr könnt niemals sagen: Ich werde nicht töten, das ist unmöglich, höchstens könnt ihr sagen: Ich hoffe, nicht zu töten. Auch ich hoffte es, auch ich wollte ein gutes und nützliches Leben führen, Mensch unter Menschen sein wie alle anderen, auch ich wollte meinen Teil zum gemeinsamen Werk beitragen. Doch meine Hoffnungen sind getäuscht worden, man hat sich meiner ehrlichen Absichten bedient, um ein Werk zu verrichten, das sich als schlecht und verderblich erwies, und ich habe die dunklen Ufer überschritten , all dies Böse drang in mein Leben, und nichts von alldem kann wiedergutgemacht werden, niemals. Auch die Wörter nützen nichts mehr, sie versickern wie Wasser im Sand, und der Sand füllt mir den Mund. Ich lebe, ich tue, was mir möglich ist, so geht es jedem, ich bin ein Mensch wie jeder andere, ich bin ein Mensch wie ihr. Hört mal, wenn ich es euch doch sage: Ich bin wie ihr!
    * Der Autor hat darauf verzichtet, die zahlreichen Ausdrücke und Abkürzungen, die außerhalb eines Kreises von Spezialisten unbekannt sind, zu erklären; daher sind am Ende des Bandes ein Glossar und eine Liste der militärischen Ränge angefügt. (Anm. d. Verl.)

ALLEMANDE I UND II

 
    An der Grenze war eine Pontonbrücke ausgelegt. Dicht daneben ragten noch, wie hingefläzt, aus den grauen Wassern des Bugs die verbogenen Joche der von den Sowjets gesprengten Stahlbrücke empor. Wie es hieß, hatten unsere Pioniere die neue Brücke in einer einzigen Nacht montiert, und gleichmütige Feldgendarmen, deren halbmondförmige Ringkragen im Sonnenlicht funkelten, regelten den Verkehr so selbstverständlich, als wären sie noch zu Hause. Die Wehrmacht hatte Vorfahrt; wir mussten warten. Ich blickte auf den gemächlich dahinfließenden Strom, die kleinen ruhigen Wälder auf der anderen Seite, das Gedränge auf der Brücke. Dann waren wir an der Reihe. Gleich nach der Brücke begann eine Art Allee aus den Skeletten des russischen Kriegsgeräts am Straßenrand: platt gewalzte und ausgebrannte Lastkraftwagen, wie Konservendosen aufgerissene Panzer, wüst ineinander verknäulte Geschütze – umgestürzt, weggeschleudert, verkeilt, in einer unabsehbaren verkohlten Masse aus unregelmäßig übereinandergeschobenen Lagen. Dahinter die Wälder in strahlendem Sommerlicht. Die ungepflasterte Straße war geräumt, doch die Spuren der Explosionen, große Ölflecken und verstreut herumliegende Trümmerreste, waren noch zu sehen. Dann kamen die ersten Häuser von Sokal. Im Stadtzentrum knisterte noch die Glut einiger verlöschenderBrände. Staubbedeckte Leichen zwischen Schutt und Trümmern, meist in Zivil, versperrten einen Teil der Straße. Gegenüber in einem Park standen, säuberlich aufgereiht im Schatten der Bäume, weiße Kreuze mit seltsamen kleinen Dächern. Zwei deutsche Soldaten malten Namen darauf. Dort warteten wir, während Blobel in Begleitung unseres Versorgungsoffiziers Strehlke zum Hauptquartier ging. Ein süßlicher, leicht ekelerregender Geruch mischte sich in den beißenden Rauch. Blobel kam schon bald zurück. »Alles in Ordnung. Strehlke kümmert sich um die Unterkunft. Kommen Sie mit.«
    Das AOK hatte uns in einer Schule untergebracht. »Tut mir leid«, entschuldigte sich ein kleiner Wehrmachtsbeamter in zerknittertem Feldgrau. »Wir sind noch dabei, uns hier einzurichten. Aber wir schicken Ihnen die Rationen hinüber.« Unser stellvertretender

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