Die Wohlgesinnten
kleinen Raum, der mit Schreibtischen, Papieren, Kartons und Akten vollgestopft war und wo auf jeder freien Fläche eine Kerze stand. Ein Offizier hob den Kopf. Es war Thomas. »Na also«, sagte er fröhlich, »das wird aber auch Zeit.« Er stand auf, kam um den Tisch herum und drückte mir herzlich die Hand. Ich sah ihn an und sagte zunächst gar nichts, dann: »Was machst du denn hier?« Er breitete die Arme aus; wie üblich war er tadellos gekleidet, frisch rasiert, mit Brillantine frisiert; der Uniformrock war bis obenhin zugeknöpft und mit allem Lametta behängt. »Ich bin freiwillig hier, mein Lieber. Was bringst du zu essen mit?« Ich blickte ihn verblüfft an: »Zu essen? Nichts, warum?« In seinem Gesicht spiegelte sich Entsetzen: »Du kommst von draußen nach Stalingrad und bringst nichts zu essen mit? Du solltest dich schämen. Hat man dir die Situation hier nicht erklärt?« Ich biss mir auf die Lippe, war mir aber nicht klar, ob er scherzte: »Ehrlich gesagt, ich habe nicht daran gedacht. Ich habe mir gesagt, die SS würde schon alles Nötige haben.« Unvermittelt setzte er sich wieder, und seine Stimme wurde spöttisch: »Such dir eine freie Kiste. Du musst wissen, dass die SS weder Einfluss auf die Flugzeuge hat noch auf das, was sie bringen. Wir kriegen alles vom AOK, und das teilt uns die üblichen Rationen zu, das heißt im Augenblick …« – er stöberte in den Unterlagen auf seinem Schreibtisch und fischte ein Blatt Papier heraus – »… zweihundert Gramm Fleisch, im Allgemeinen vom Pferd,pro Tag und Mann, zweihundert Gramm Brot und zwanzig Gramm Margarine oder anderes Fett. Überflüssig zu erwähnen, dass das seinen Mann nicht ernährt.« – »Du siehst nicht gerade notleidend aus«, wandte ich ein. »Ja, glücklicherweise besitzen einige Leute mehr Weitblick als du. Außerdem sind unsere kleinen Ukrainer ziemlich findig, vor allem wenn man ihnen nicht zu viele Fragen stellt.« Ich holte Zigaretten aus meiner Rocktasche und zündete mir eine an. »Zumindest habe ich was zum Rauchen mitgebracht.« – »Ah! Siehst du, du bist doch gar nicht so dumm. Nun, anscheinend hast du Ärger mit Bierkamp gehabt?« – »In gewisser Weise ja. Ein Missverständnis.« Thomas beugte sich leicht vor und drohte mir mit dem Finger: »Max, seit Jahren sage ich dir, dass du dich um deine Beziehungen kümmern sollst. Eines Tages wird das böse enden.« Ich machte eine unbestimmte Handbewegung in Richtung Tür: »Man könnte sagen, es hat schon böse geendet. Und dann darf ich dich darauf hinweisen, dass du auch hier bist.« – »Hier? Hier ist es sehr gut, vom miesen Fraß abgesehen. Und hinterher gibt’s Beförderungen, Auszeichnungen, e tutti quanti . Dann sind wir echte Helden und können unsere Orden in den besten Salons spazieren führen. Dann sind selbst deine kleinen Geschichten vergessen.« – »Du scheinst ein kleines Detail zu übersehen: Zwischen dir und deinem Salon stehen einige sowjetische Armeen. Der Manstein kommt , mag ja stimmen, aber noch ist er nicht da.« Thomas verzog verächtlich den Mund: »Immer noch der alte Defätist. Außerdem bist du schlecht informiert: Der Manstein kommt nicht mehr; der hat Hoth schon vor mehreren Stunden den Rückzug befohlen. Da die italienische Front zusammenbricht, wird er an anderer Stelle gebraucht. Andernfalls verlieren wir Rostow. Den Befehl zum Abzug hätte es ohnehin nicht gegeben, selbst wenn er bis zu uns durchgebrochen wäre. Und ohne Befehl hätte sich Paulus niemals von der Stelle gerührt. Wenn du mich fragst, dann ist dieseganze Geschichte mit Hoth reine Augenwischerei. Damit Manstein sein Gewissen beruhigen kann. Und der Führer übrigens auch. Kurzum, ich habe nie auf Hoth gesetzt. Hast du mal ’ne Zigarette?« Ich bot ihm eine an und gab ihm Feuer. Er blies den Rauch lange aus und lehnte sich im Stuhl zurück: »Die unentbehrlichen Leute, die Spezialisten werden kurz vor Schluss rausgeholt. Möritz steht auf der Liste, ich natürlich auch. Einige müssen selbstverständlich bis zum Schluss bleiben, um die Stellung zu halten. Pech gehabt. Das gilt auch für unsere Ukrainer: Sie sind erledigt, und sie wissen das. Das macht sie böse, und sie rächen sich im Voraus.« – »Es kann dich vorher erwischen. Oder auch bei der Evakuierung: Ich habe gesehen, dass ziemlich viele Flugzeuge dran glauben müssen.« Er lächelte strahlend: »Das, mein Lieber, ist das Berufsrisiko. Du kannst auch unters Auto kommen, wenn du die Prinz-Albrecht-Straße
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