Die Wohlgesinnten
war zum stellvertretenden Leiter der Amtsgruppe IV A unter Panzinger, Müllers Stellvertreter, ernannt worden. Um ehrlich zu sein, interessierten mich diese Einzelheiten herzlich wenig, aber ich hatte wieder gelernt, höflich zu sein, also beglückwünschte ich Thomas, da er sehr zufrieden wirkte –mit seinem Schicksal wie mit sich. Sehr humorvoll erzählte er mir von dem großartigen Begräbnis der 6. Armee; offiziell hatten alle, von Paulus bis zum letzten Gefreiten, bis zum letzten Atemzug gekämpft; tatsächlich war nur ein General – Hartmann – im Kampf gefallen, und ein einziger (Stempel) hatte es für gut befunden, sich das Leben zu nehmen; die zweiundzwanzig anderen, unter ihnen Paulus, waren den Sowjets in die Hände gefallen. »Du wirst sehen«, meinte Thomas heiter, »sie werden sie gründlich umkrempeln.« Drei Tage lang hatten alle Rundfunksender des Reichs ihr laufendes Programm unterbrochen und Trauermusik gesendet. »Am schlimmsten war Bruckner. Die Siebte. Ununterbrochen. Du konntest ihr einfach nicht entkommen. Ich dachte, ich würde verrückt.« Er erzählte mir auch, fast beiläufig, wie ich dorthin gekommen war: Ich hörte mir seinen Bericht aufmerksam an und kann ihn daher wiedergeben, vermochte ihn aber noch weniger als alles andere in einen Zusammenhang zu bringen, er blieb eine Erzählung, sicherlich wahrheitsgemäß, aber eben doch nur eine Erzählung, kaum mehr als eine Folge rätselhaft und willkürlich zusammengefügter Sätze, von einer Logik bestimmt, die wenig mit derjenigen zu tun hatte, die mir gestattete, die salzige Ostseeluft zu atmen, den Wind auf meinem Gesicht zu spüren, wenn sie mich hinausfuhren, den Suppenlöffel an meinen Mund zu führen und den After zu öffnen, wenn der Moment gekommen war, mich der Abfallstoffe zu entledigen. Dem Bericht nach, den ich hier unverändert wiedergebe, hatte ich mich von Thomas und den anderen in Richtung der russischen Linien entfernt und mich auf exponiertes Terrain begeben, ohne ihren Rufen die geringste Beachtung zu schenken; bevor sie mich einholen konnten, fiel ein Schuss, ein einziger, und ich brach zusammen. Iwan hatte mutig die Deckung verlassen, um mich aus der Gefahrenzone zu ziehen, dabei hatte er selbst einen Schuss abbekommen, doch die Kugel war durch seinen Ärmel gefahren,ohne Schaden anzurichten. Mich hatte der Schuss – und insofern deckte sich Thomas’ Version mit den Ausführungen des Arztes in Hohenlychen – in den Kopf getroffen; doch zur Überraschung aller, die sich um mich scharten, atmete ich noch. Ich war zu einem Verbandplatz gebracht worden; dort hatte der Arzt erklärt, er könne nichts für mich tun, doch da ich hartnäckig weiteratmete, überwies er mich nach Gumrak, wo sich die beste chirurgische Einrichtung des Kessels befand. Thomas hatte ein Fahrzeug organisiert und brachte mich persönlich dorthin; in der Meinung, alles Menschenmögliche für mich getan zu haben, ließ er mich dann dort zurück. Am selben Abend erhielt er seine Marschpapiere. Doch am nächsten Tag musste auch Gumrak, das wichtigste Flugfeld seit dem Fall von Pitomnik, vor den anrückenden russischen Truppen geräumt werden. Also fuhr er zum Stalingrader Flugplatz, von wo noch einige Flugzeuge starteten; während er wartete, besichtigte er, um sich die Zeit zu vertreiben, das Notlazarett, das dort in Zelten eingerichtet worden war, und entdeckte mich, bewusstlos, mit bandagiertem Kopf, aber immer noch atmend wie ein Blasebalg. Für eine Zigarette erzählte ihm ein Sanitäter, ich sei in Gumrak operiert worden, Genaueres wisse er nicht, es habe eine Auseinandersetzung gegeben, kurz darauf sei der Chirurg von einer Granate getötet worden, die in das Lazarett eingeschlagen sei, aber ich sei noch immer am Leben gewesen und habe als Offizier ein Anrecht auf Pflege gehabt; bei der Räumung sei ich in ein Fahrzeug gelegt und hierher gebracht worden. Thomas hatte mich in sein Flugzeug legen lassen wollen, doch die Feldgendarmen verweigerten es ihm, weil mein Schild VERWUNDETE zwei rote Streifen hatte, was »nicht transportfähig« bedeutete. »Ich konnte nicht warten, weil mein Flugzeug startete. Und dann lagen wir schon wieder unter Feuer. Da entdeckte ich einen Burschen, der ziemlich hin war, aber ein normales Schild trug. Das habe ich mit deinemvertauscht. Er hätte es auf keinen Fall überstanden. Dann habe ich dich mit den anderen Verwundeten am Rande des Flugfelds zurückgelassen und bin abgeflogen. Sie haben dich in die nächste
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