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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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begegnet, es würde interessant sein, seine nähere Bekanntschaft zu machen. Müller bewohnte eine etwas außerhalb gelegene Dienstwohnung, die von Bomben verschont geblieben war. Eine unscheinbare Frau mit Haarknoten und ziemlich eng stehenden Augen öffnete mir die Tür; ich hielt sie für eine Hausangestellte, aber es war Frau Müller, sie war die einzigeFrau im Haus. Müller selbst war in Zivil; und statt mir den deutschen Gruß zu entbieten, nahm er meine Hand in seine mächtige Pranke mit den breiten Fingern und schüttelte sie; doch abgesehen von dieser Bekundung von Ungezwungenheit, war es lange nicht so gemütlich wie bei Eichmann. Auch Eichmann trug Zivil, doch der größte Teil der Offiziere war, wie ich, in Uniform. Müller, kurzbeinig, stämmig, mit kantigem Bauernschädel, aber trotzdem geschmackvoll, fast ausgesucht elegant gekleidet, trug eine gehäkelte Jacke über einem Seidenhemd mit offenem Kragen. Er goss mir einen Kognak ein und stellte mich den anderen Gästen vor, fast ausnahmslos Gruppenleitern oder Referenten des Amts IV: Mir sind noch zwei Herren vom IV D erinnerlich, die sich um die Arbeit der Gestapo in den besetzten Ländern kümmerten, und ein gewisser Regierungsrat Berndorff, der das Schutzhaftreferat leitete. Außerdem waren ein Offizier von der Kripo und Litzenberg, ein Kollege von Thomas, anwesend. Thomas selbst, der die neuen Rangabzeichen des Standartenführers mit schöner Selbstverständlichkeit trug, kam etwas später und wurde von Müller herzlich begrüßt. Die Unterhaltung kreiste vorwiegend um das ungarische Problem: Das RSHA hatte bereits ungarische Persönlichkeiten ermittelt, die bereit waren, mit Deutschland zusammenzuarbeiten; die große Frage blieb, wie der Führer den Sturz Kállays betreiben wollte. Wenn Müller nicht an dem Gespräch teilnahm, überwachte er seine Gäste ruhelos mit seinen kleinen durchdringenden Augen. Dann warf er ein paar kurze unfreundliche Bemerkungen dazwischen, die durch seinen breiten bayerischen Akzent einen Anschein von Herzlichkeit bekamen, der eine angeborene Kälte nur schlecht verdeckte. Aber von Zeit zu Zeit ließ er die Zügel schießen. Mit Thomas und Dr. Frey, einem ehemaligen SD-Mann, der wie Thomas zur Geheimen Staatspolizei gegangen war, hatte ich ein Gespräch über die geistigen Ursprünge desNationalsozialismus begonnen. Frey wies darauf hin, dass die Bezeichnung selbst schlecht gewählt sei, da nach seiner Auffassung der Begriff »national« an die Tradition von 1789 anknüpfe, die der Nationalsozialismus doch ablehne. »Was würden Sie denn stattdessen vorschlagen?«, fragte ich ihn. »Nach meiner Ansicht hätte er Völkischer Sozialismus heißen müssen. Das ist sehr viel treffender.« Der Kripo-Mann hatte sich zu uns gesellt: »Wäre man Möller van der Bruck gefolgt«, erklärte er, »hätte das ein Reichssozialismus sein können.« – »Na ja, läuft das nicht auf das Abweichlertum eines Strasser hinaus?«, erwiderte Frey pikiert. In diesem Augenblick bemerkte ich Müller: Er stand hinter uns, ein Glas in seiner Pranke, und hörte uns zu. »Man sollte wahrhaftig alle Intellektuellen in eine Kohlengrube treiben und sie in die Luft jagen …«, stieß er mit seiner groben, rauen Stimme hervor. »Der Gruppenführer hat vollkommen Recht«, sagte Thomas. »Meine Herren, Sie sind schlimmer als die Juden. Denken Sie dran: Taten statt Worte.« In seinen Augen tanzte ein spöttisches Lachen. Müller nickte, Frey wirkte verwirrt: »Natürlich hat für uns die Tatkraft immer eine größere Rolle gespielt als theoretische Überlegungen …«, stammelte der Kripo-Mann. Ich entfernte mich und ging zum Buffet, um meinen Teller mit Salat und Fleisch zu füllen. Müller folgte mir. »Und wie geht es dem Herrn Minister Speer?«, fragte er mich. »Um ehrlich zu sein, Gruppenführer, ich weiß es nicht. Ich habe seit Beginn seiner Erkrankung keine Verbindung mehr zu ihm gehabt. Aber er soll jetzt auf dem Wege der Besserung sein.« – »Er wird wohl bald entlassen.« – »Möglich. Das wäre schön. Wenn es uns gelänge, über die Arbeitskräfte in Ungarn zu verfügen, würde das unserer Rüstungsindustrie sehr rasch neue Möglichkeiten eröffnen.« – »Vielleicht«, knurrte Müller. »Aber das wären vor allem Juden, und für Juden ist das Gebiet des Altreichs verboten.« Ich schluckte ein kleines Würstchen hinunter und sagte:»Dann muss diese Regel eben geändert werden. Wir haben unsere Kapazität gegenwärtig vollkommen

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