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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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gelernten Konditor zum Kommandanten der zusammengelegten Lager I und II sowie zum Standortältesten der drei Lager und aller Nebenlager gemacht); unter dem Vorwand, dass der HSSPF keinerlei Befehlsgewalt über das Lager habe – was, genau genommen, zutraf, solange nicht der Fall A ausgerufen war –, erklärte er sich als nur der Amtsgruppe D gegenüber verantwortlich. Eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den verantwortlichen Instanzen bei einer Evakuierung zeichnete sich nicht ab. Außerdem – und das beunruhigte mich nach meinen Erfahrungen vom Oktober und November noch mehr – sah Boesenbergs Plan vor, die Lager zu Fuß zu räumen, das heißt, die Häftlinge mussten zwischen 55 und 63 Kilometer marschieren, bevor sie in Gleiwitz und Loslau in die Züge verladen werden konnten. Dieser Plan war logisch: Die darin unterstellte Kriegslage ließ eine durchgehende Benutzung der Schienenwege bis zur HKL nicht zu; im Übrigen herrschte ein hoffnungsloser Mangel an rollendem Material (in ganz Deutschland gab es nur noch etwa zweihunderttausend Eisenbahnwaggons, ein Verlust von mehr als 70 Prozent in zwei Monaten). Außerdem musste auch an die Evakuierung der deutschen Zivilisten, der Personen mit Sonderrechten, der Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen gedacht werden. Am 21. Dezember hatte Gauleiter Bracht einen vollständigen U-Plan/Treckplan für die Provinz herausgegeben, der Boesenbergs Plan einbezog und vorsah, dass die KL-Häftlinge aus Sicherheitsgründen Vorrang beim Überqueren der Oder hatten, des größten Engpasses der Evakuierungswege. Auch das sah auf dem Papier ganz vernünftig aus, aber ich wusste, was bei einem Gewaltmarsch mitten im Winter und ohne Vorbereitung passieren konnte; hinzu kam, dass die Budapester Juden bei guter Gesundheit aufgebrochen waren, während es sich hier um erschöpfte, geschwächte, unterernährte undschlecht gekleidete Häftlinge handelte, die in Panik waren – eine Situation, die ungeachtet der Vorbereitungen leicht entarten und außer Kontrolle geraten konnte. Lange und eingehend befragte ich Boesenberg zu den entscheidenden Punkten: Er versicherte mir, dass vor dem Aufbruch warme Kleidung und zusätzliche Decken ausgegeben würden und Verpflegungsvorräte entlang den Strecken angelegt worden seien. Mehr lasse sich nicht machen, versicherte er. Ich musste einsehen, dass er Recht hatte.
    In Auschwitz lernte ich auf der Kommandantur Sturmbannführer Kraus kennen, einen Verbindungsoffizier, der von Schmauser mit einem Sonderkommando des SD hergeschickt worden war und im Lager eine »Verbindungs- und Übergangsdienststelle« leitete. Dieser Kraus, ein junger Offizier von liebenswürdigen Umgangsformen, der am Hals und linken Ohr die Spuren einer schweren Verbrennung aufwies, erklärte mir, er sei grundsätzlich verantwortlich für die Phasen »Lähmung« und »Zerstörung«: Vor allem solle er sicherstellen, dass die Vernichtungsanlagen und die Vorratsdepots den Russen nicht intakt in die Hände fielen. Für die Ausführung des Evakuierungsbefehls sei, sobald er erteilt sei, Baer verantwortlich. Dieser empfing mich ziemlich unfreundlich, ich war in seinen Augen offensichtlich noch einer dieser Bürokraten, die von außerhalb kamen und ihn an seiner Arbeit hinderten. Mir fielen seine stechenden, unsteten Augen, eine ziemlich unförmige Nase und ein schmaler, aber sinnlicher Mund auf; sein dichtes gewelltes Haar war sorgfältig mit Brillantine gekämmt, wie bei einem Berliner Dandy. Er wirkte auf mich erstaunlich farblos und beschränkt, in noch höherem Maße als Höß, der immerhin noch die Aura des ehemaligen Landsknechts besaß. Meinen Dienstgrad ausspielend, stauchte ich ihn heftig wegen seiner mangelnden Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Diensten des HSSPF zusammen. Er erwiderte mit unverhohlener Arroganz, erhabe bei seiner Vorgehensweise die volle Unterstützung Pohls. »Wenn der Fall A eintritt, folge ich dem Befehl von Obergruppenführer Schmauser. Bis dahin unterstehe ich allein Oranienburg. Sie haben mir keine Befehle zu geben.« – »Wenn der Fall A eintritt«, erwiderte ich wutschnaubend, »dürfte es zu spät sein, die Folgen Ihrer Unfähigkeit zu beseitigen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ich in meinem Bericht an den Reichsführer Sie persönlich für alle unbilligen Verluste verantwortlich machen werde.« Meine Drohungen schienen ihn nicht im Mindesten zu beeindrucken, er hörte mir mit kaum verhohlener Verachtung zu.
     
     
    Baer wies mir eine

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