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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Kattowitz nach Breslau zurückgezogen und warteten auf Befehle: Ich beorderte sie zurück. Bei Durchsicht meiner Post, die seit der Verwundung von Fräulein Praxa niemand angerührt hatte, stieß ich neben offiziellen Schreiben auch auf einen privaten Brief: Ich erkannte Helenes Schrift. Lieber Max , schrieb sie, unser Haus ist getroffen worden, und ich muß Berlin verlassen. Ich bin verzweifelt, ich weiß nicht, wo Sie sind, Ihre Kameraden wollen mir nichts sagen. Ich fahre zu meinen Eltern nach Baden. Schreiben Sie mir. Wenn Sie möchten, komme ich nach Berlin zurück. Noch ist nicht alles verloren. Ihre Helene. Das war fast eine Liebeserklärung, aber ich verstand nicht, was sie mit dem Noch ist nicht alles verloren sagen wollte. Rasch schrieb ich ihr an die angegebene Adresse, um ihr mitzuteilen, dass ich zurück sei, es aber im Augenblick besser sei, wenn sie in Baden bleibe.
    Zwei Tage widmete ich einem sehr kritischen Bericht über die Evakuierung. Ich sprach auch persönlich mit Pohl darüber, der meine Argumente aber leichthin abtat: »Auf jeden Fall«, sagte er, »haben wir gar keinen Platz mehr, sie unterzubringen, alle Lager sind voll.« In Berlin war ich Thomas begegnet; Schellenberg war fort, Thomas gab keine Feste mehrund schien missgelaunt zu sein. Er hielt die Leistung des Reichsführers als Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe für ziemlich kläglich; er schloss nicht mehr aus, dass Bormann die Ernennung inszeniert hatte, um Himmler in Misskredit zu bringen. Doch diese schwachsinnigen Spielchen um fünf nach zwölf interessierten mich nicht mehr. Ich litt wieder unter Übelkeit, meine Brechanfälle waren zurückgekehrt, sie überfielen mich vor der Schreibmaschine. Als ich hörte, dass sich Morgen ebenfalls in Oranienburg aufhielt, suchte ich ihn auf und erzählte ihm von der unverständlichen Verbohrtheit der beiden Kriminalbeamten. »Tatsächlich«, sagte er nachdenklich, »das ist merkwürdig. Sie scheinen Sie aus ganz persönlichen Gründen auf dem Kieker zu haben. Ich habe die Akte gesehen, da gibt es nichts Konkretes. Das könnte einer dieser Asozialen gewesen sein, ein verkommenes Subjekt, vieles wäre denkbar, aber Sie? Das erscheint mir grotesk.« – »Vielleicht so etwas wie Klassenneid«, überlegte ich. »Man könnte meinen, sie wollten mich um jeden Preis erniedrigen.« – »Ja, das ist möglich. Sie sind ein gebildeter Mensch, es gibt beim Abschaum der Partei große Vorurteile gegen die Intellektuellen. Hören Sie, ich spreche mit Rabingen darüber. Er soll den beiden eine offizielle Abmahnung schicken. Die dürfen sich nicht über die Entscheidung eines Richters hinwegsetzen und ihre Ermittlungen einfach fortführen.«
    Mittags fanden wir uns vor dem Radio ein, um anlässlich des zwölften (und, wie sich herausstellen sollte, letzten) Jahrestags der Machtergreifung einer Rede des Führers zu lauschen. Ich hörte nicht sehr aufmerksam zu, dort in der Offiziersmesse von Oranienburg, ich erinnere mich nicht mehr, wovon er sprach, wahrscheinlich wieder von den bolschewistischen Horden und Ähnlichem; besonders verblüffend fand ich die Reaktion der anwesenden SS-Offiziere: Nur ein Teil von ihnen stand auf und reckte den rechten Arm empor, alszum Schluss die Nationalhymne ertönte, eine Nachlässigkeit, die noch einige Monate zuvor undenkbar und unverzeihlich gewesen wäre. Am selben Tag torpedierte ein sowjetisches U-Boot vor Danzig die Wilhelm Gustloff , das Flaggschiff der Ley’schen »Kraft durch Freude«-Flotte, das mehr als achttausend Flüchtlinge an Bord hatte, die Hälfte davon Kinder. Es gab fast keine Überlebenden. Am Tag nach meiner Ankunft in Berlin erreichten die Russen die Oder und überquerten sie fast nebenbei, um einen großen Brückenkopf zwischen Küstrin und Frankfurt zu bilden. Ich erbrach fast all meine Mahlzeiten und hatte Angst, dass das Fieber zurückkäme.
    Anfang Februar tauchten die Amerikaner wieder am helllichten Tag über Berlin auf. Trotz der Verbote quoll die Stadt über von verzweifelten und aggressiven Flüchtlingen, die sich in den Ruinen einrichteten und Lager und Geschäfte plünderten, ohne dass die Polizei viel ausrichten konnte. Es war so gegen elf, ich hielt mich gerade bei der Gestapo auf; mit den wenigen Offizieren, die dort noch arbeiteten, ging ich zum Luftschutzbunker im Garten, an der Grenze zum verwüsteten Park des Prinz-Albrecht-Palais, das nur noch eine leere Schale ohne Dach war. Dieser nicht einmal unterirdisch gelegene Bunker war

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