Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
mir lachend seinen Mantel. Piontek verteilte einige Lebensmittel, und ich aß. Ich war zum Umfallen müde, ich wollte mich im blassen Licht der Sonne auf meinen Mantel legen und schlafen. Doch Thomas bestand darauf, bis Körlin weiterzugehen, er hoffte nach wie vor, noch am selben Tag nach Kolberg zu gelangen. Ich zog meine feuchte Kleidung wieder an, steckte den Flaubert ein und folgte ihm. Kurz hinter dem Wald tauchte ein Weiler auf, wie versteckt in der Biegung des Flusses. Wirbeobachteten ihn eine Zeitlang, wir hätten einen weiten Umweg machen müssen, um ihn zu umgehen; ich hörte Hunde bellen, Pferde wiehern und Kühe brüllen, in jenem langen qualvollen Ton, den sie haben, wenn sie nicht gemolken werden und ihre Euter schwellen. Aber das war alles. Thomas beschloss, sich weiter vorzuwagen. Die großen alten Bauernhäuser waren Ziegelbauten, schon etwas baufällig, und hatten geräumige Heuböden unter den breiten Dächern; die Türen waren eingetreten, der Weg mit umgestürzten Fuhrwerken, zerbrochenen Möbeln, zerrissenen Laken übersät; von Zeit zu Zeit mussten wir über einen Bauern oder eine alte Frau steigen, deren Leichen von Einschüssen durchsiebt waren; ein merkwürdiger Schneesturm fegte durch die kleinen Dorfstraßen, Daunenfedern, die der Wind aus zerrissenen Bettdecken und Matratzen aufwirbelte. Thomas schickte Piontek aus, in den Häusern nach Essbarem zu suchen, und übersetzte mir in der Zwischenzeit ein Schild mit ein paar hastig hingekritzelten russischen Worten, das einem hoch an eine Eiche gefesselten Bauern um den Hals gehängt worden war, die von den Hunden halb herausgerissenen Eingeweide hingen ihm aus dem aufgeschlitzten Bauch: Du hattest ein Haus, Kühe, Konservendosen. Was hast du bei uns zu suchen gehabt, Pridurok? Der Geruch der Gedärme verursachte mir Brechreiz, ich hatte Durst und trank an der Pumpe eines noch funktionierenden Brunnens. Piontek kam zurück: Er hatte Speck, Zwiebeln, Äpfel und ein paar Konserven gefunden, die wir auf unsere Taschen verteilten; doch er war bleich, und sein Kinn zitterte, er wollte uns nicht sagen, was er im Haus gesehen hatte, aber sein Blick wanderte furchtsam zwischen den Eingeweiden des Toten und den Hunden hin und her, die durch die wirbelnden Daunenfedern knurrend näher kamen. Wir verließen den Weiler so schnell wie möglich. Dahinter breiteten sich weite gewellte Felder aus, blassgelb und beige unter dem noch trockenen Schnee. DerWeg wich einem kleinen Nebenfluss aus, erklomm einen Kamm und führte unter einem verlassenen stattlichen Gehöft vorbei, das am Waldrand lag. Dann fiel er wieder zur Persante ab. Wir folgten der hohen Böschung; das andere Ufer war hier noch bewaldet. Ein Bach versperrte uns den Weg, wir mussten Stiefel und Strümpfe ausziehen und hindurchwaten, das Wasser war eisig, ich trank einen Schluck und benetzte mir den Hals, bevor ich weiterging. Dahinter lagen wieder verschneite Felder, und weit hinten rechts, auf einer Anhöhe, ein Waldrand; direkt in der Mitte stand ein Hochsitz aus grauem Holz für die Entenjagd, vielleicht auch dazu da, während der Erntezeit Krähen zu schießen. Thomas wollte querfeldein über diese Äcker, der Wald vor uns fiel zum Fluss ab, aber es war nicht leicht, die Wege zu verlassen, der Boden wurde trügerisch, wir mussten über Stacheldrahtzäune klettern, daher zogen wir uns wieder zum Fluss zurück, den wir wenig später erreichten. Zwei Schwäne ließen sich auf dem Wasser treiben und von uns nicht im Mindesten stören; sie stoppten an einer kleinen Insel, hoben und streckten ihre überdimensionierten Hälse in einer anmutigen Bewegung und begannen sich zu putzen. Dann kamen wir wieder in den Wald. Hier standen vor allem Kiefern, Jungbäume, ein Wald, der sorgfältig zum Schlagen aufgeforstet worden war, offen und licht. Die Wege erleichterten uns das Gehen. Zweimal scheuchte das Geräusch unserer Schritte kleineres Damwild auf, wir sahen es zwischen den Bäumen vor uns flüchten. Thomas führte uns auf verschlungenen Pfaden unter dem hohen Gewölbe in die Irre, fand aber regelmäßig wieder zur Persante, unserem Ariadnefaden, zurück. Ein Weg durchschnitt ein kleines Eichengehölz, es war nicht sehr hoch, nur ein dichtes graues Flechtwerk aus Trieben und kahlen Ästen. Der Boden unter dem Schnee war mit braunem Laub bedeckt, tot und trocken. Als ich wieder Durst bekam, stieg ich zur Persante hinab, doch am Ufer gabes nur stehendes Wasser. Wir näherten uns Körlin, die Beine waren

Weitere Kostenlose Bücher