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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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setzte mich an einen Baum, die Mantelschöße unter mir, Piontek verteilte hart gekochteEier und Wurst. »Ich habe kein Brot gefunden«, sagte er entschuldigend. Thomas zog das Fläschchen mit Pflaumenschnaps aus der Tasche, das er mir weggenommen hatte, und ließ uns einen Schluck nehmen. Der Himmel verdüsterte sich, die Schneeböen verstärkten sich. Ich war müde und schlief, gegen den Baum gelehnt, ein. Als Thomas mich weckte, war mein Mantel schneebedeckt, meine Glieder steif vor Kälte. Kein Mond war zu sehen, kein Lichtschein drang aus dem Dorf. Wir folgten dem Waldrand bis zur Bahnstrecke, dann gingen wir im Dunkeln hintereinander am Bahndamm entlang. Thomas hatte seine Pistole gezogen, und ich tat es ihm nach, ohne eigentlich zu wissen, wie ich mich verhalten sollte, wenn wir erwischt wurden. Unsere Schritte knirschten auf dem verschneiten Schotter. Die ersten Häuser tauchten an einem großen Teich rechts vom Gleis auf, dunkel und stumm; der kleine Bahnhof am Dorfeingang war verschlossen; wir durchquerten die Ortschaft auf dem Bahnkörper. Schließlich konnten wir unsere Pistolen wieder einstecken und unbefangener marschieren. Der Schotter rutschte und rollte unter unseren Schritten, aber der Abstand der Schwellen gestattete ohnehin kein normales Gehen auf den Gleisen; schließlich gingen wir hintereinander den Bahndamm hinunter, um unseren Weg auf unberührtem Schnee fortzusetzen. Etwas weiter führte die Strecke wieder durch einen großen Kiefernwald. Ich fühlte mich erschöpft, wir gingen schon seit Stunden, ich dachte an nichts, ich hatte keine Gedanken und Bilder mehr im Kopf, meine ganze Kraft und Aufmerksamkeit wurde vom Gehen in Anspruch genommen. Ich atmete schwer, und außer dem Knirschen unserer Stiefel im nassen Schnee war das der einzige Laut, den ich hörte, ein quälendes Geräusch. Einige Stunden später stieg der Mond, nicht ganz voll, hinter den Kiefern auf und warf durch die Bäume weiße Lichtflecken auf den Schnee. Noch später erreichten wir den Waldrand. Jenseits einer großen Ebene, einige Kilometervor uns, tanzte ein gelbes Licht am Himmel, und wir hörten ein schwaches Knattern, hohle, dumpfe Detonationen. Der Mond beleuchtete den Schnee auf der Ebene, ich erkannte den schwarzen Strich der Bahngeleise, die Büsche, die kleinen verstreuten Baumgruppen. »Sie kämpfen offenbar um Belgard«, sagte Thomas. »Schlafen wir etwas. Wenn wir jetzt weitergehen, kriegen wir am Ende noch von den Unseren was ab.« Im Schnee zu schlafen, das sagte mir nicht recht zu; mit Pionteks Hilfe suchte ich einige trockene Äste zusammen, machte mir ein Lager, rollte mich darauf zusammen und schlief ein.
    Ein grober Tritt gegen meinen Stiefel weckte mich. Es war noch dunkel. Mehrere Gestalten standen um uns herum, ich sah den stählernen Schimmer von Maschinenpistolen. Eine Stimme flüsterte schroff: »Deutsche? Deutsche?« Ich setzte mich auf, und die Gestalt wich zurück: »Entschuldigung, Herr Offizier«, sagte eine Stimme mit starkem Akzent. Ich erhob mich, Thomas stand schon. »Sind Sie deutsche Soldaten?«, fragte er, ebenfalls leise. »Jawohl, Herr Offizier.« Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit: Ich erkannte auf den Mänteln der Männer SS-Abzeichen und blau-weißrote Ärmelabzeichen. »Ich bin SS-Obersturmbannführer«, sagte ich auf Französisch. Eine Stimme rief aus: »Hast du gehört, Roger, er spricht Französisch!« Der erste Mann antwortete: »Pardon, Obersturmbannführer. Wir haben Sie im Dunkeln nicht richtig erkannt und für Deserteure gehalten.« – »Wir sind vom SD«, sagte Thomas, ebenfalls auf Französisch, mit seinem österreichischen Akzent. »Die Russen haben uns den Weg abgeschnitten, jetzt versuchen wir, uns zu unseren Linien durchzuschlagen. Und Sie?« – »Sturmmann Lanquenoy, 3. Kompanie, 1. Zug, Standartenführer. Wir gehören zur Division Charlemagne. Wir sind von unserem Regiment getrennt worden.« Es waren ungefähr ein Dutzend. Lanquenoy, der sie zu führen schien, erklärte uns in wenigen Wortendie Lage: Sie hatten vor einigen Stunden den Befehl bekommen, ihre Stellung zu verlassen und sich nach Süden abzusetzen. Das Gros des Regiments, dem sie sich jetzt wieder anschließen wollten, musste sich etwas weiter östlich befinden, in Richtung der Persante. »Es wird von Oberführer Puaud befehligt. In Belgard steht auch noch Wehrmacht, aber da ist dicke Luft.« – »Und warum wenden Sie sich nicht nach Norden?«, fragte Thomas brüsk. »Nach Kolberg?« –

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