Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)
Billi Unglück brachte – in ihrer Umgebung geschahen schlimme Dinge. Kay war bloß ein armer Kerl gewesen, der zu nahe herangekommen war. Am besten hielt man sich von ihr fern.
»Wir haben vielleicht eine neue Seherin. Frag bitte Kay, ob er gute Ratschläge hat.« Billi sprach weiter mit Percys Grab. Sie war nicht gerade erpicht darauf, nach Hause zurückzukehren und sich mit Wassilissa beschäftigen zu müssen. Warum konnten sie sie nicht zu Rowland oder Elaine ziehen lassen? Das kleine Mädchen brachte alles aus dem Gleichgewicht. Erinnerte sie zu sehr an Kay. Eine neue Seherin. Ob Wassilissa wohl länger als der letzte Seher leben würde?
»Irgendwann komme ich und besuche Kay, Percy. Sag ihm das. Ich verspreche es.« Aber noch nicht. Sie war noch nicht stark genug, um Kays Grab aufzusuchen.
Der eisige Wind frischte auf, und Billis Nackenhaare stellten sich auf. Der Luft haftete ein seltsamer, strenger Geruch an, feucht und ekelerregend, wie nasses Fell.
Zwei Frauen kamen näher und suchten sich einen Weg durch das Labyrinth aus Gräbern und Grabsteinen. Eine, ein großes Mädchen mit feuerrotem Haar, trug ein T-Shirt, das ihren breiten, muskulösen Oberkörper und ihre langen, schweren Arme sehen ließ. Die andere Frau war grauhaarig und hatte die Hände in die Taschen einer hüftlangen Wolljacke gesteckt, die mit Petroglyphen wie denen bestickt war, die Elaine den Templern gezeigt hatte. Sie gingen mit dem Selbstbewusstsein von Raubtieren. Ihre Bewegungen waren anmutig und sparsam, der Schritt von Jägern. Billi wusste genau, was sie waren. Aber auch wenn noch ein Zweifel bestanden hätte, hätten ihre Augen sie verraten. Smaragdgrün.
Die ältere Frau hob freundlich die Hand, als sie näher kam. »Mein Name ist Olga. Das hier ist meine Enkelin Swetlana.« Sie hatte einen russischen Akzent.
»Polenitsy«, sagte Billi. Die alte Frau blieb ein paar Schritte von ihr entfernt stehen, vielleicht überrascht, dass Billi wusste, wer sie waren. Das rothaarige Mädchen ging weiter, kam aber nicht näher, sondern lief hin und her. Sie grinste Billi an und entblößte dabei lange, scharfe Zähne. Ihr Gesicht war ein Puzzle aus Schnitten und Schürfwunden, wie man sie davontragen konnte, wenn man vor kurzem durch ein Fenster geworfen worden war.
Billi wich einen Schritt zurück. Sie hätte erst nach Hause gehen und sich bewaffnen sollen. Hier konnte sie allenfalls Schneebälle werfen.
»Wir wollen dir nichts Böses«, sagte die alte Frau.
»Sag ihr das«, erwiderte Billi und zeigte auf das herumtigernde Mädchen.
»Swetlana, es reicht«, blaffte Olga. Swetlana knurrte, blieb aber stehen. »Wir wollen nur das Frühlingskind, dann gehen wir.« Sie warf einen Blick hinab auf Percys Grabstein und trat näher heran. » Ein armer Soldat .« Sie nickte und sah Billi neugierig an. »Jetzt verstehe ich! Du bist Templerin. Eine Frau im Orden des salomonischen Tempels? Vielleicht sind die Ritter endlich doch noch zu einem Funken Weisheit gelangt.«
Zuerst dachte Billi, Olga würde sich über sie lustig machen, aber als die alte Frau den Kopf hob, sah Billi, dass sie es ernst meinte.
»Wir wollen keinen Krieg mit den Tempelrittern«, sagte Olga.
»Wenn ihr auch nur eine Kralle auf Wassilissas Kopf legt, liefern wir euch einen Krieg, wie ihr ihn euch nicht vorstellen könnt.«
Olga grinste.
Ei, Großmutter, was hast du für große Zähne.
»Templerin, ihr seid nur wenige. Wir sind viele. Wir würden euch vernichten.«
»Das haben schon ganz andere Leute versucht. Bisher ist es niemandem gelungen.« Billi ballte die Fäuste – nicht, dass sie auch nur eine Sekunde durchhalten würde, wenn die Situation haarig wurde. »Warum Wassilissa?«
Swetlana sprang knurrend vorwärts. »Das Mädchen wird einen neuen Frühling bringen, einen ohne die Verderbtheit des Menschengeschlechts. Sie ist von Baba Jaga auserwählt …«
» Njet !« Olga starrte erst Swetlana böse an, dann Billi. »Das geht dich nichts an. Sie ist von der Göttin auserwählt worden, das genügt.«
Billi lachte. »Von Baba Jaga? Eurer Hexe? Der, die in einer Hütte haust, die auf Hühnerbeinen läuft?«
»Du wagst es, Mütterchen Russland zu beleidigen?« Swetlana knurrte, und Krallen wuchsen aus ihren Fingerspitzen hervor. Olga trat zwischen sie und verstellte der jüngeren Frau den Weg.
»Und was ist mit eurem gekreuzigten Gott?«, sagte Olga und wies auf Billis Kruzifix. »Vielleicht ist seine Geschichte in tausend Jahren auch nicht mehr als ein
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