Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)
Sees.
»Datschen«, sagte Elaine. »Früher träumten alle Russen von ihrem kleinen Versteck auf dem Lande. Am Wochenende Bauer spielen, dann zurück ins große, böse Moskau.«
»Wovon träumen sie heute?«
»Von Diamanten und Kaviar, wie wir anderen auch«, sagte Elaine und winkte gleichzeitig den Flugbegleiter heran. Ihr Klapptisch quoll bereits vor Miniaturflaschen von Gordon’s Gin über.
Lance erschien. Das Flugzeug war halb leer, so dass alle Platz gehabt hatten, sich zu verteilen. Er und Gwaine saßen weit vorn, während Billi und Elaine nach hinten gegangen waren.
Er fing eine Flasche auf, als sie von dem kleinen, herunterklappbaren Tisch rollte. Elaine errötete, als er sie ihr zurückreichte. Schämte sie sich für ihr Trinken? Das wäre das erste Mal gewesen.
Vielleicht lag es an Lance. Er war dem Orden ein, zwei Wochen nach Percys Beerdigung beigetreten. Die Templer hatten ihn seit Jahren gekannt; er war ein Einzelgänger gewesen, der in ganz Europa Jagd auf Ghule und andere Unholde gemacht hatte. Billi hatte ihn ein paar Tage nach seiner Ankunft in Aktion erlebt. Ein Trio Blutsauger hatte sich an Menschen in einem Altersheim gütlich getan und sich in der Annahme, dass ohnehin niemand den ältlichen Bewohnern Horrorgeschichten abnehmen würde, in Sicherheit gewiegt. Lance war wie ein Hurrikan durch diese Untoten hindurchgefegt. Sogar Arthur war beeindruckt gewesen. Der Franzose verfügte über lässigen Charme, und die Augenklappe verlieh ihm das verwegene Aussehen eines Piraten. Er war in Billis Augen alt – vielleicht Mitte dreißig –, aber hübsch auf kontinentaleuropäische Art, mit einem hängenden, gallischen Schnurrbart. Billi sah Elaine wieder an. Rot wie eine Tomate.
Nein. Das konnte doch nicht sein.
»Ich habe für uns ein kleines Hotel im Arbat gebucht. Zentral gelegen und diskret«, sagte Lance. »Vaslav wird uns dort mit unseren Einkäufen und einigen Informationen treffen.«
»Hat er alles bekommen?«, fragte Billi.
» Oui . Kurzschwert, Kukri, Stoßdolch und die schweren Shuriken aus Stahl, die du verlangt hast.« Lance hielt inne. »Und natürlich die Schlagringe.« Er richtete sein verbliebenes Auge auf Elaine. »Und für Sie, Madame Elaine? Hätten Sie gern irgendetwas?«
Elaine schüttelte unbeholfen den Kopf.
» C’est bien. « Er strich sich über den Schnurrbart. »Heute ist Mittwoch. Wenn alles gut geht, sollten wir im Laufe des Tages mit den Bogatyri Kontakt aufnehmen können.«
Dann blieben ihnen nur drei Tage, um Wassilissa zu finden. Es schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
Lance kehrte zu seinem Sitzplatz zurück, und Elaine sah ihm nach.
»Das ist so eklig«, sagte Billi. »Du bist alt genug, um seine Großmutter zu sein.«
Elaine zuckte ertappt zusammen. »He, sei nicht so unverschämt!« Sie drückte wieder auf den Rufknopf. »Wo ist dieser verdammte Flugbegleiter? Ich verdurste hier noch!«
Die Sicherheitsgurtzeichen leuchteten auf, und sie setzten zur Landung in Moskau an.
Billis Auslandserfahrungen waren sehr beschränkt – ein paar Reisen nach Frankreich und eine regennasse Woche in Spanien –, aber der Flughafen Domodedowo war so wie jeder andere: riesige Glasfassade, modern, voller Plastik, mit hohen Hallen und den üblichen Läden. Die Schilder waren auf Russisch und Englisch, genau wie die Durchsagen.
Hinter den grün getönten Glaswänden des Flughafens lag die Landschaft unter einer weißen Decke. Eine dunstige, stark befahrene Straße führte pfeilgerade vom Ausgang an den Horizont. Sie war von einem dichten Koniferenwald gesäumt.
Sie gingen gemeinsam ins Freie, und die Elemente schlugen sofort zu. Die Kälte raubte Billi den Atem, und ihre Augen tränten, als die schneefeuchte Luft ihr einen Schlag ins Gesicht versetzte. Trotz der Handschuhe, des Schals, des Soldatenmantels und der Mütze fand der peitschende Wind jeden Millimeter unbedeckter Haut und griff ihn an. Schneeflocken gefroren in ihren Wimpern. Billi zog sich den Schal vor den Mund und atmete hindurch, nur um ihre Lippen davor zu bewahren, wund zu werden.
Herrgott, wie können sie dieses Wetter aushalten? Eine eisige Böe traf sie im Nacken, und sie zitterte von Kopf bis Fuß.
Große Geländewagen, die eher wie Panzer als wie Autos aussahen, parkten neben morschen, uralten Trabis und Ladas, die noch zu Zeiten des Kalten Krieges gebaut worden waren. Sie hatten alle Winterreifen aufgezogen, und das Gummi war mit Metallstiften besetzt, die wie fallende Kiesel klangen,
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